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Unsere Zukunft!
Ich habe noch nie und nirgends nach einer Wagner-Oper einen solchen vielstimmigen
Beifallsorkan erlebt wie nach der hinreißend-unbefangenen "Götterdämmerung"
auf den steilen Rängen des Festival Theaters. Ein absolut enthusiasmiertes
Publikum - Junge und Alte, Kenner und "Neugierige", Schotten und andere,
Betuchte und Sozialfälle - pfeift, schreit die Begeisterung aus sich heraus,
springt von den Sitzen! Und das ist auch das Resultat einer spannend erzählten
Geschichte über das Woher der großen Krisen und der Hoffnung auf unsere
Zukunft, die aus Brünnhildes weitergetragener Fackel eines neuen Lebens
erwächst.
Nun hat es viele kongenial aktualisierte Inszenierungen gegeben, doch
hier in Edinburgh ist von der Last der teutonischen Mythen und ihrer leidvollen
Vergangenheit nichts zu spüren, nicht einmal der Wille zur "Revision".
Tim Albery interessiert schlicht das Schicksal einzelner Menschen im Zeichen
des Zusammenbruchs der tradierten Werte und ihre Repräsentanten. Gunter,
Gutrune, Siegfried, Hagen, Brünnhilde: für sie ist ein "richtiges Leben
im falschen" unmöglich! Aber nicht nur diese Adorno-Konkretion lässt aufmerken;
auch die Realisierung der provokanten Bloch-These, dass Wagners Werk seine
größte Kraft durch die "Nobilisierung des Trivialen" gewinnt, ist die
große Leistung dieser Ring-Offenbarung.
Hildegard Bechtlers sparsame Bühne baut auf diese Dichotomie von Massengesellschaft
und Individuen: über einen Vorhang mit dem Sternenhimmel, einen Rundprospekt
mit der Tapete einer riesigen Wohnmaschine, spärlich möblierten Wohnräumen
und "Freizeitanlagen" bis zur individuell-focussierten "Nahaufnahme" reichen
die konstruierten Angebote.
Der überwältigende Charme des Orchestra of Scottish Opera liegt in der
geradezu "naiven" Interpretation Richard Armstrongs; da werden Emotionen
pur vermittelt, da trübt keines Gedankens Blässe das Aufeinanderprallen
Treue und List, von Liebe und Hass, von Ewigkeit und Jetzt, von Philosophie
und Lebenslust und -angst. Nichts ist mit der "unendlichen Melodie", aber
alles ist gebrochen, jeweils grell und übersteigert. (Ein wenig mehr Perfektion
- vor allem bei den Hörnern könnte allerdings schon sein, und etwas mehr
Koordination zugunsten der hochstrapazierten Sänger.)
Die attraktiven Rheintöchter haben ihren sensationellen Auftritt als Animiermädchen
in einer Bar im Walde (Inka Rinn, Marianne Andersen, Leah Marian Jones),
wo der stimmgewaltige, verzweifelt für die mythische Vergangenheit kämpfende
Hagen (Mats Almgren) Siegfried ermordet. Graham Sanders ist der bedenkenlose
sonny boy (etwa so einer wie George Best), gut bei Stimme und nach seiner
Bremer und Braunschweiger Zeit erheblich weitergekommen. Man darf gespannt
sein, welchen Lauf die Karriere nimmt, wenn die Stimme noch an Volumen
gewinnt! Peter Savidges Gunther zeigt einen bemerkenswerten Bruch von
strahlendem "Blutsbruder" zum zerstörten Betrogenen. Elaine McKrills Gutrune
spielt die verliebte Promi-Braut glänzend, lässt stimmlich Wünsche offen.
Mit eindrucksvoller Kraft: Jane Irwin als Waltraute. Elizabeth Byrne ist
sicherlich - seit ihrem Auftritt in der "Walküre" 2001 - Die Entdeckung
der Schottischen Oper: enorme Ausstrahlung, modulationsreicher Sopran,
kraftvolle Spitzentöne ohne schrille Akzente, textverständlich und bei
aller Leidenschaftlichkeit perfekt kontrolliert in Intonation und Phrasierung:
eine traumhafte Besetzung! (frs) |
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