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Fakten zur Aufführung 

RUBENS UND DAS NICHTEUKLIDISCHE WEIB
(Péter Esterházy)
3. September 2006
(Premiere: 2.9.06)

RuhrTriennale
(Kraftzentrale, Landschaftspark Duisburg-Nord)

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Als die Bilder leben lernten

„Rubens ist tot!“, deklamiert der Sohn des Künstlers. Und tatsächlich liegt der Meister reglos auf seinem Totenbett. Auch seine Bilderwelt verharrt unter roten Samtvorhängen. Doch dann zeigen Schöpfer und Werke, was unsterbliche Kunst bedeutet: Die Bilder erwachen zum Leben. Und siehe da, der Maestro begibt sich auf einen Streifzug durch seine phantastische Welt – ein opulentes Bildermärchen beginnt.

Spielstätte der Kreation Rubens ist die ehemalige Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg. Phillip Stölzl (Regie und Bühne) versteht es, sie gekonnt in die Inszenierung einzubeziehen, oder besser: Die Halle inszeniert sich selbst. Zunächst verhangen wie später die Rubensbilder, hebt sich zum Einlaß der Vorhang und gibt einen Blick in die Weite der Halle frei, an deren Ende sich eine Art überdimensionierter Schuhkarton – Zuschauerraum und Bühne – befindet. Dieser ist erst über Außentreppen zu erklimmen und dann über Freitreppen zu den Sitzreihen wieder abzusteigen – für manche Besucher eine waghalsige Kletterpartie. Doch dann: eine kleine abgeschirmte Welt für sich, nur Rubens samt Werk und seine Betrachter, passend dazu ein „barockes“ Kammerorchester: Die Kölner Musica Antiqua. Sie sitzt in einem kleinen vertieften Karree in der Mitte der Bühne. An den drei Bühnenwänden: die golden Rahmen mit den noch verhangenen Bildern, dicht an dicht wie in einer barocken Gemäldegalerie gehängt.

Péter Esterházys Vorlage erzählt keine kohärente Geschichte, es kommen immer nur Aspekte aus Rubens Leben zum Vorschein: Seine Beziehung zum Sohn, Euklid, Seneca, Frauen und Ärschen. Passend dazu öffnen wie bei einem Adventskalender große und kleine Klappen an der Wand, unter denen sich die lebenden Bilder verbergen: Der Trunkene Sylen mit seinen Nymphen, die Kreuzabnahme, Saturn frisst seine Kinder und viele mehr. Die Kostüme (Kathi Maurer) haben eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Originalen. Rubens Figuren kennen ihren Meister gut: Sie hüpfen aus den unteren Bildern – aus den höheren seilen sie sich ab – und necken die Schwächen ihres Schöpfers. Eine Nymphe klaut dem Künstler den Hut, dann begibt sie sich wieder zum Gelage, das sie endlich mal zu Ende bringen darf: zum Schluß liegen alle berauscht am Boden. Seneca (überzeugend: Philip Langridge) hat die Zeichen der Zeit erkannt, spricht ein paar Lehrsätze in der Wissenschaftssprache Englisch, um dann als Tenor aus seinem Bild zu steigen.

Gespickt mit teils hintersinnigem, teils derben Humor und einigen Zoten verfliegt der erste Teil der Kreation und hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck von barocker Feststimmung. Der zweite Teil wird substantieller. In der imaginären Welt läuft Rubens der Mathematiker Kurt Gödel – pointiert spießig gespielt von Christoph Bantzer – über den Weg und konfrontiert ihn mit dessen Positivismus: Rubens könne nur malen, was er sehe; was er nicht sehe, existiere für ihn nicht. In einer exzellenten Animation (Max Stolzenberg) gehen Maler und Mathematiker der nicht-euklidischen Geometrie am Beispiel der nackten Frau auf den Grund. Am Ende begreift der tote Maler, das Paradox, dass Schöpfung nicht vollkommen sein kann. Der Sohn wirft Rubens schmollend vor, seinen Bildern fehle jegliche Transparenz. Ob das so ist, mag ein Kunsthistoriker entscheiden. Die Inszenierung und die Vorlage Esterházys sind jedenfalls voll davon: Schöpfer und Werke begegnen sich gleichwertig, Zeit und Raum sind ineinander verschoben, Realität und Phantasiewelt mischen sich, Ungarn ist Fußballweltmeister.

Die Musica Antiqua findet zu diesen schwelgerischen Bildern den richtigen Ton. Präzise spielt das Ensemble auf seinen historischen Instrumenten Stücke aus der Lebzeit des Künstlers. Doch auch hier ist die Vorstellung nicht historisierend: Hier und da schleicht sich – zur Missbilligung des Cembalo Spielers – Neue Musik ein. Das Publikum ist begeistert. Bis zum Schluss ist immer wieder Neues auf der Bühne zu entdecken – so ein Staunen gibt es leider zu selten im Theater. Am Ende: Großer Applaus, besonders für Hans-Michael Rehbergs beieindruckende Rubensverkörperung und Angelica Böttchers (Mezzozospran) hinreißenden Pelzchen-Auftritt.

Rubens ist eine überaus gelungene Inszenierung, Philipp Stölzl erweist sich als kongenialer Umsetzer der brillianten Vorlage von Esterházy, ein Augen- und Ohrenschmaus, den sich keiner entgehen lassen sollte. (sas)


Fotos: © Clärchen und Matthias Baus