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Fakten zur Aufführung 

LOUISE
(Gustave Charpentier)
3. Oktober 2008
(Premiere: 27. September 2008)

Deutsche Oper am Rhein Duisburg


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Im Wartesaal der Gefühle

Sie ist so eine Art „La Bohème“ mit Elementen aus dem Arbeitermilieu, wie Emile Zola es in seinen Romanen dokumentiert. Sie ist aber genauso ein zermürbendes Psychogramm, die Schilderung familiärer Emanzipationsversuche. Die Rede ist von „Louise“, dem einzigen wirklichen Erfolg, der Gustave Charpentier auf der Opernbühne je beschieden war. „Louise“ bildete nun den Auftakt zum „Finale furioso“, der so überschriebenen letzten Spielzeit des scheidenden Intendanten der Deutschen Oper am Rhein, Tobias Richter, der während seiner Zeit immer wieder das französische Repertoire gepflegt hat.

Ein Auftakt wie er verheißungsvoller kaum hätte ausfallen können: Christof Loy, gerade in der Jahresumfrage der Zeitschrift „Opernwelt“ zum Regisseur des Jahres gekürt, lieferte seine sechzehnte (!) Arbeit für die Rheinoper. Und es gelang ihm - dies kann man ohne Zweifel auch zu Beginn einer noch lange währenden Spielzeit sagen - ein absolutes Highlight.

Loy deutet die Versuche der Näherin Louise, aus ihren beengten familiären Verhältnissen zu entkommen, von vornherein als Wunschvorstellungen: Leben kann nur im Traum stattfinden. Folgerichtig, dass das Einheitsbühnenbild einen Wartesaal darstellt, irgendwo in einem Bahnhof oder in einer Arztpraxis. Ursula Renzenbrinks Bühne realisiert das Konzept der Inszenierung perfekt. Louise wartet, unterdrückt von der tyrannischen Mutter und dem Vater, der in ihr nur das kleine K ind sehen will, auf das freie Leben, das ihr der Dichter Julien geben soll.

Aus dem kurzen Rausch der Selbstbestimmtheit holen die Eltern sie schnell wieder zurück: das Leben geht an Louise vorüber, sie sucht Trost im Wahn und landet im Wartezimmer eines Psychiaters – oder war sie etwa die ganze Zeit über schon dort?

Das Faszinierende an Christof Loys psychologischer Deutung liegt darin, dass er die Gefühle seiner Figuren ihnen auch körperlich ansehbar macht – wie er kleinste Gesten formt, die Mimik sprechen lässt. Das ist absolut großartig und führt dazu, dass er die Spannung vom ersten bis zum letzten Takt halten kann. Das ist nicht einfach, schließlich wird zwei Stunden und vierzig Minuten lang ohne Pause durchgespielt. Loy schafft das durch Feinarbeit. Er stellt nicht nur die Protagonisten in den Mittelpunkt, sondern gibt jeder kleinen Rolle einen eigenen Charakter - wie etwa dem verklemmten Altkleiderhändler oder all den vielen Näherinnen. Nirgends wird typisiert oder über einen Kamm geschoren. Diesen Ansatz vergisst Loy weder in den Massenszenen, wo jeder Bewegung jeder Figur Bedeutung zukommt, noch im Duett der Liebesszene zwischen Louise und Julien, in der beide, in warmes Licht getaucht, auf einem viele Meter langen Brautschleier liegen. Das ist in höchstem Maße poetisch!

Ein großes Lob gilt den vielen Sängern der kleinen Rollen, dem Opernchor (Gerhard Michalski), dem Düsseldorfer Mädchen- und Jungenchor, die musikalisch wie darstellerisch Loys Konzept mit großem Engagement umsetzen.

Marta Márquez ist eine kalte, harte Mutter mit Metall in der Stimme, Sergej Khomov ein Julien, dessen schmelzender Tenor Louise immer weiter in ihre Traumwelt hineinmanövriert. Das war erstklassig wie auch Sami Luttinens Darstellung des Vaters, der vielleicht etwas zu viel empfindet für seine Tochter. Ihm gelang es mit ausgeglichener, enorm raumgreifender Stimme, die Eintönigkeit seines eigenen Lebens auszudrücken. Die Krone aber gebührt Sylvia Hamvasi. Wie sie als Louise in sich zusammensackt, sich versucht zu befreien und wieder scheitert, das ist beinahe körperlich nachzuempfinden - wie sie all ihr Sehnen in die große Arie „Depuis le jour“ legt, ist ganz große Gesangs- und Darstellungskunst.

Ein recht seltener Gast am Opernpult ist der Duisburger GMD Jonathan Darlington. Er und seine Philharmoniker geben Charpentiers Musik unendlich viel Raum, lassen sie fließen und schaffen dennoch so viel Halt, das nirgends die Spannung abflaut – genau der richtige Teppich für Loys Regiekonzept. Das Publikum wird den ganzen Abend über in den Bann geschlagen, bricht zum Schluss in großen Jubel aus. Völlig zu Recht.

Thomas Hilgemeier

 








Fotos: Eduard Straub