Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

KÖNIG LEAR
(William Shakespeare)
30. August 2008

RuhrTriennale 2008
Theater Duisburg/Burgtheater Wien


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Die tragischste aller Tragödien: König Lear

Als Gastspiel von den Wiener Festwochen präsentierte die RuhrTriennale im Rahmen ihres Luc Bondy-Schwerpunktes an zwei Abenden das Burgtheater Wien mit Shakespeares König Lear im Theater Duisburg.

König Lear ist eines der verstörendsten und vom trostlosen Ende her gesehen, nihilistischsten Stücke Shakespeares. Es besitzt laut einem amerikanischen Shakespearianer den seltenen "Schein der Unendlichkeit" eben deshalb, weil es um die Grundkonstanten menschlichen Seins, um dessen Anfang und das Ende geht. Die fortlaufende Linie der Geschlechter, die Weitergabe des Erreichten von einer Generation an die Nächste, das Verhältnis von Alt zu Jung, von Jung zu Alt interpretiert Luc Bondy als permanente und ambivalente Kampfzone, in der es letztlich nur Niederlagen gibt. Er inszeniert Lear wunderbar sprachgetragen und textnah, ganz ohne Mätzchen, immer spannend und bleibt doch distanziert ohne Stellung- oder Parteinahme. Die nüchterne und behutsam aktualisierende, dabei niemals anbiedernde Neuübersetzung stammt von Luc Bondy, Marie-Louise Bischofberger und Jeff Layton – die Lieder wurden von Peter Handke ins Deutsche übertragen.

Der Anfang gelingt ganz locker und leicht, noch ein schwereloser Moment des Innehaltens vor dem Ablauf der Tragödie. Cordelia (Adina Vetter), Lieblingstochter Lears (Gert Voss), hüpft in einem weissen Kleid seilchenspringend über die leere Bühne. Einzig die Krone Lears liegt in der Mitte. Hier scheint noch alles offen. Dann das Familien-Quartett mit dem verhängnisvollen Entscheid: Lear, narzisstisch und trotz Machtfülle abhängig von der Zuneigung anderer, verteilt sein Reich an diejenigen Nachfahren, die ihn am meisten lieben. Cordelia, die das heuchlerische Spiel der beiden älteren Schwestern verweigert, wird enterbt und verbannt, Macht und Reich zweigeteilt. Lear erkennt zu spät, dass seine Macht nur auf dem Amt beruht und der von ihm als vernünftiger Generationswechsel initiierte Weg seinen Untergang einleitet. Als es auch nach dem Machtwechsel alles den Learschen Gang gehen soll, kommt es zu einem Kampf der Generationen. Kein Dialog, auch keine familiär fundierte Liebe, löst diese querelle. Die "Tyrannei der Alten" ist genau so unversöhnlich wie die Machtbewusstheit der Jungen, die endlich ihre Partizipation durchsetzen kann – immerhin ist der Lear schon jenseits der 80.

So wie Lear sich aufführt, tyrannisch, egoistisch, ungeschlacht und rücksichtslos, immer nur sich selbst im Blick, hat man unerwartetes Verständnis für die harsche Abwehrhaltung der beiden älteren Töchter Lears, Goneril (Andrea Clausen) und Regan (Caroline Peters) - eine Haltung, die in der glatten und intriganten Skrupellosigkeit des Edmund (Christian Nickel) aus der Parallelhandlung noch eiskalt übertroffen wird. Goneril und Regan sind zwei ganz heutige Frauen, selbstbewusst, selbständig und mitten im Leben stehend, wägen sie ab, was sie an persönlichen und ökonomischen Zumutungen von und für Lear ertragen wollen und können. Altern ist bei Lear ein Verhärtungsprozess, in dem er sich immer mehr so rücksichtslos wie selbstsüchtig in sich einkapselt, dann quasi folgerichtig ausgestoßen wird, um letztlich in sich irre, nicht dement, sondern verwirrt und gebrochen zu werden. Dass die Generationen nicht mehr zueinander kommen ist zum einen ein Verständnisproblem: Was Lear angemessen erscheint, ist den Nachfahren unerträgliche "Grille". Dann ist es ein reines Verteilungsproblem. Wenn es darum geht, das Gefolge Lears zu reduzieren - von 100 auf 50 auf 25 auf 0 -, um die Kosten zu kappen, ist es eine Diskussion darüber, was dem Alter für eine Lebensleistung geschuldet ist, von der im Falle des Lear nicht nur die Familie, sondern ein ganzes Staatswesen profitierte. Das Zahlenspiel erinnert ernüchternd an heutige Renten- oder Hartz IV-Debatten. Wer braucht warum wieviel und ist das finanzierbar? Wer bestimmt die Bedürfnisse und Angemessenheit, man selbst oder die andern, Vererber oder die Erben?

Gert Voss als Lear: überlebensgroß, ungeduldig, übelgelaunt, herrisch, später dann ziellos vagabundierend, verbittert und letztlich irre werdend und dabei doch ganz bei sich. Obwohl nur "Schatten" seines ehemaligen Selbst, wie der Narr sagt, ist Lears körperliche Präsenz von einer seltenen Ungeheuerlichkeit. Lear: "Jetzt siehst du, wie die Welt geht." Das großartige Schlussbild, ein Bild der Trauer und Ratlosigkeit, dass sich an das Quartett des Eingangs anschließt: Lear in der Mitte, seine drei Töchter um ihn herum gebettet – im Tode vereint.

Die elegante Bühne von Richard Peduzzi wechselt von großen leeren Räumen zur engen, durch eine kubische, hohe Turmarchitektur begrenzte Bühne im De Chirico-Stil einer pintura metafisica, dabei unterstützt von einer ausgefeilten Lichtregie (Dominique Bruguière). Die Kostüme, obgleich zuerst altertümlich, tendieren zum Zeitgenössisch-Allgemeinen (Rudy Sabounghi). Virtuos eingesetzt, doch nicht übertrieben die technischen Mittel: die Naturgewalten effektvoll mit Sturm und Donnergrollen, die Windmaschinerie in der Szene auf der Heide auch ironisch beiläufig eingesetzt vom Narren – seht, wir spielen Theater!

Es ist eine Besetzung, die ihresgleichen sucht und auf diesem Niveau nur noch an wenigen Häusern anzutreffen ist. Gert Voss ist eingebettet in ein gleichstarkes Ensemble, darunter gleichermaßen triumphal Birgit Minichmayr als Narr – klarsichtig, respektlos und frech - und Klaus Pohl als Kent; Martin Schwab als Gloster, Philip Hauss als Edgar und Cristian Nickel als Edmund gestalten das Erbfolgedrama der gleichgewichtig behandelten Nebenhandlung. Für einen Teil der Schauspieler war es auch eine Rückkehr ins Ruhrgebiet: Andrea Clausen, Gert Voss und Martin Schwab waren Mitglieder des Bochumer Ensembles unter Claus Peymann (1979-1986), Andrea Clausen gehörte auch zur sich anschliessenden Ära von Frank-Patrick Steckel (1986-1995).

Mit langen, nicht enden wollenden Standing Ovations verabschiedete sich das Publikum.

Dirk Ufermann

 


Fotos: Ursula Kaufmann