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Fakten zur Aufführung 

AUS EINEM TOTENHAUS
(Leoš Janáček)
8. Mai 2009 (Premiere)

 

Deutsche Oper am Rhein
Düsseldorf


Points of Honor                      

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Nachdenklich

Gläserne Zellen, in denen ein graues Kollektiv reglos verharrt und ein Individuum sinnentleert hin- und herläuft, weichen einem Gefängnishof, der nur scheinbar mehr Freiheit bietet. Ein furioser Auftakt für eine Oper, in der nicht die Arie und nicht der Sopran einer Operndiva im Vordergrund steht, sondern Männersprechgesang und das scheinbare Fehlen einer Handlung.

Basierend auf den Erinnerungen des russischen Schriftstellers Fjodor Michailowitsch Dostojewski, die er in dem fiktiven Roman „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ festhielt, gestaltete Leoš Janáček seine letzte Oper, die in einem sibirischen Strafgefangenenlager zur Zeit des Zaren spielt. Kaum einem, der seine Haft in den Kolonien verbüßte, gelang es, wieder lebend in die Freiheit zu gelangen. „So war es ihr Schicksal, tot zu sein, längst bevor sie gestorben waren“, bringt Hella Bartnig, für die Dramaturgie der Aufführung zuständig, die Tragik der Häftlinge auf den Punkt. Stein Winge versucht die Gratwanderung, die Monotonie des Gefängnishofes und der Insassen szenisch umzusetzen – allerdings eher statisch-schematisch, ohne die betäubend lähmenden Zwangssituationen zu vermitteln.

Herbert Murauer setzt in Bühnenbild und Kostümen um, was Janáček beabsichtigte: Graue und schwarze Kostüme vor grauer Kulisse versinnbildlichen die seelische Verfassung der Inhaftierten so eindringlich, dass das Farbspiel im zweiten Akt kein echter Hoffnungsschimmer ist, sondern unwirklich und absurd wirkt. Das berührt emotional, auch wenn der ständige Blick in das Grau, in dem die Konturen verschwimmen, ermüdet.

Packend zugreifend die Musik, von John Fiore in zugespitzter, hoch präziser Differenzierung der Instrumentengruppen stimulierend umgesetzt. „Es gibt Hoffnung, aber das Leben im Gefängnis geht weiter“, so will Fiore den Schluss und das Fazit der Oper verstanden wissen, und es gelingt ihm, mit den konzentriert aufspielenden Düsseldorfer Symphonikern, die Zuschauer in genau diesem Zustand zurück zu lassen. Wenn die Sprechgesänge der Solisten dabei nicht immer mit dem Orchester auf eine Linie kommen, mag das als dissonantes Element so gemeint sein, stört aber im dramatischen Gesamteindruck.

Oleg Bryjak gibt dem langen Monolog des Schischkow nachhaltigen Eindruck; Alfons Eberz interpretiert einen ambivalenten Luka; Peter Nikolaus Kante gibt einen brutal-zynischen Kommandanten mit stupender Stimmkraft; Nassrin Azarmi vermittelt die Fragilität der Dirne in dem aggressiven Männer-Gulag mit viel Einfühlungsvermögen – 21 Rollen sind an der Rheinoper typengerecht besetzt, realisieren den anspruchsvollen Janáček-Gesang mit beeindruckender Intention und Kompetenz.

Für das Publikum bleibt die Funktion eines Pappvogels lange im Dunkeln, der sich erst spät als Symbol für einen Adler entpuppt – das Symbol für den unterdrückten Lebenswillen. Hier hätte man der Regie ein bisschen mehr Phantasie in der Gestaltung zugetraut – manchmal ist Reduktion eben doch nicht das Maximum. Schließlich begreift das Publikum, dass sich hinter diesem Vogel als Symbol der Freiheitsliebe die Grundaussage Janáčeks verbirgt: Mag ein Mensch noch so böse sein, irgendwo in ihm drin ist der „Funken Gottes“.

Das Publikum applaudiert langanhaltend – und ist anschließend bestrebt, das Gebäude rasch zu verlassen. „Aus einem Totenhaus“ ist ein Werk, das den Betrachter nachdenklich zurücklässt. Da treten kleinere Schwächen in der Aufführung schnell in den Hintergrund. Einmal mehr werden existenzielle Fragen im Betrachter aufgeworfen. Und wer will die schon im Foyer des Opernhauses mit sich abmachen?

Michael S. Zerban

Musikbeispiele

 








 
Fotos: Eddy Straub