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Fakten zur Aufführung 

PLATÉE
(Jean-Philippe Rameau)
10. Februar 2011
(Premiere Oper Düsseldorf am 28.1.2011)

Deutsche Oper am Rhein (Düsseldorf)

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Die Götter scherzen

Üppig, sinnenfroh, voller Lebensfreude und burlesk – mehr braucht man eigentlich über diese Aufführung nicht zu sagen. Karoline Gruber fiel noch eine Menge mehr dazu ein, und das ist gut so. Gleich beim ersten Lesen des Librettos, sagt sie, fielen ihr die Parallelen zwischen Rameaus Barockoper Platée und den heutigen Gesellschaftsstrukturen auf. Die Spaßgesellschaft mit Ellenbogenmentalität am Hofe Ludwigs XV. findet heute – gut, in anderen Größenordnungen – statt. Die Regisseurin hat ihre Erkenntnis brillant umgesetzt.  So stand hier erstmals nicht die Diskussion im Vordergrund, ob Barockopern, französische zumal, eine Berechtigung haben, wieder aufgeführt zu werden oder das Publikum mit ihren retardierenden Momenten eher langweilen. In Konrad Junghänel findet Gruber den kongenialen Partner, der mit der Neuen Düsseldorfer Hofmusik ein streicherbetontes Orchester zur Verfügung hat, das Rameau mit Verve und hörbarem Vergnügen interpretiert. Christoph Lehmann entlockt dem Cembalo die hellen (historischen) Klänge, die das Publikum überraschen und begeistern. Mit solchen Pfunden lässt sich gut wuchern, wenn man die Handlung in die Gegenwart übersetzen will.

It’s partytime! Der „Rest der Gesellschaft“, die übrig Gebliebenen, die, die außen vor sind, mit ihren 1-Euro-Jobs, sozialer „Verwahrlosung“ oder scheinbar psychischer Entgleisung leiten das Geschehen ein, um alsbald zu verschwinden, wenn der Spaß richtig los geht. Die Werbung steht im Vordergrund, in diesem Fall für einen Partydrink. Thalia moderiert, durchaus sexy in Stimme und Aufmachung dargestellt von Alma Sadé. Immer mit dabei die grauen Mäuse, die Angestellten, die opportunistisch den Machterhalt unterstützen, uniform, nicht wissend, aber immer jubilierend. Chor und Statisterie der Deutschen Oper am Rhein spiegeln in Bürokleidung das Rückgrat der Spaßgesellschaft und bevölkern die Bühne wie die clerks die Fußgängerzonen zur Mittagszeit. Vor diesem Publikum erlaubt man sich doch gerne einen Spaß der Extraklasse. Finden auch die Mächtigen, die Götter. In Platée, der Sumpfnymphe, Synonym für diejenigen, die versuchen, aus dem Sumpf der Masse nach ganz oben zu kommen, finden sie das rechte Opfer. Schon ist der nächste Höhepunkt des Abends erreicht. Anders J. Dahlin, der junge Schwede, singt den haut contre mit Hingabe, abwechslungsreich, meistert die Höhen mit Leichtigkeit, ohne dabei ins Absurde zu geraten, und spielt sich in die Herzen der Zuschauer. Dahinter muss alles andere weit zurück bleiben. Dass er, oder sie, die Platée, am Ende als Verlierer da steht, ist schon beinahe uninteressant. Er/sie bekommt seinen/ihren großen Auftritt in der Posse. Die darin gipfelt, dass Jupiter ihr durch das Parkett  folgt. Die beiden schlagen sich in die Reihen des Publikums. Was gemeinhin als etwas unangenehm empfunden wird, weil hier die Darsteller die Grenzen durchbrechen, wird als ungemein komisch wahrgenommen. Für einen Moment steht Sami Luttinen vor dem Verfasser dieses Beitrags. In diesem Moment wird klar: Vor dir steht Jupiter, schwer atmend, französisch stotternd, auf der Suche nach Platée. Aber: Keine Atempause – Geschichte wird gemacht.

La Folie, die Verrückte, die Spaßmacherin, die Moderatorin übernimmt die Leitung. Mit lupenreinen Koloraturen reizt sie ihren Sopran aus. Fasziniert das Publikum mit reinen Spitzentönen, während sie ständig in Bewegung ist. Fast will dem Betrachter selbst der Schweiß ausbrechen, denn hier ist nichts im Stillstand. Wo sonst Soprane, Baritone und Tenöre ihre Arien stehend und voller Inbrunst präsentieren, sind Sylvia Hamvasi und Kollegen zudem ständig in Bewegung und erbringen dieselbe Leistung. Die Hamvasi überdies im grotesken Kostüm als lackierte Domina – damit trifft Mechthild Seipel als Kostüm-Verantwortliche die Interpretation Grubers auf den Punkt.

Roy Spahn unterstützt die Auffassung der Regisseurin mit seiner Bühnengestaltung schon in beinahe revolutionärer Weise. Wenn ein überdimensionaler pinkfarbener Schuh von hinten die Kulisse des Versailler Schlosses, na gut, durchbricht, hat das schon symbolischen Charakter. Wenn Jupiter und Juno sich winkend auf dem Schuh von der Bühne ziehen lassen, erinnert sich der Rheinländer gern an einen Karnevalswagen mit dem Prinzen, dem Höhepunkt eines jeden Spaßes in der närrischen Zeit.

Tanzeinlagen verkürzen das Geschehen auf angenehmste Weise, gerade so, wie vom Versailler Hof kolportiert wird, dass unbedingt die ballettesken Einlagen höchste Aufmerksamkeit erfuhren. Beate Vollack konzentriert sich in ihrer Choreografie darauf, alles in Bewegung zu halten. Dafür verzichtet sie auf übertrieben künstlerisch-tänzerische Einlagen.

In Erinnerung bleibt ein dichter, künstlerisch genialer Abend mit Gedanken über unsere gesellschaftliche Verfassung. Das Publikum, das die komödiantischen Einlagen mit verhaltenem Lachen quittiert (darf man in der Oper einfach so lachen?) und ansonsten immer noch sehr stark unter dem Husten dieses Winters leidet, bleibt letztlich im Urteil ungerecht. Dahlin erntet ein paar Fan-Bravos, Thomas Michael Allen als Mercure und Laimonas Pautienius als Momus bleiben trotz glänzender Arbeit ebenso wie die herausragenden Leistungen von Alma Sadé und Sylvia Hamvasi im allgemeinen Applaus verhaftet. Entschädigt wird das Team, das auf und hinter der Bühne eine so fantastische Arbeit abgeliefert hat, vielleicht damit, dass anschließend das Lob im Foyer unüberhörbar ist.

msz

 

Fotos: Hans-Jörg Michel