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Fakten zur Aufführung 

DIALOGUES DES CARMÉLITES
(Francis Poulenc)
22. Oktober 2010 (Premiere)

Deutsche Oper am Rhein (Düsseldorf)

Points of Honor                      

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Angst ist immer

Viele Sitzplätze sind leer geblieben. Das mag daran liegen, dass keine populäre Verdi-Oper auf dem Programm steht. Aber das wäre für das Düsseldorfer Opernpublikum eher ungewöhnlich. Es könnte auch am Thema des Abends liegen. Das Thema ist Angst. Angst vor der eigenen Angst. Angst vor einer gesellschaftlichen Entwicklung, Zukunftsangst. Passt eigentlich in die jahreszeittypische Depression, ist aber vielleicht nicht jedermanns Sache. So, wie Francis Poulencs Oper Dialogues des Carmélites, die erst im vergangenen Jahrzehnt eine Renaissance erlebt.

Die Handlung führt den Zuschauer zurück in die Zeit des totalitären Regimes der Jakobiner nach der französischen Revolution. Eine Schreckensherrschaft unter dem Deckmantel von Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit. Der Orden der Karmelitinnen ist kein Ort der Gleichmacherei, sondern versteht sich als demokratische Schwesternschaft, die sich ganz dem Gebet widmet. Hierhin flieht Blanche de la Force – man beachte das Wortspiel – um ihrer eigenen Angst Herr zu werden. Die Angst der Jakobiner vor dem, was sie nicht verstehen, führt dazu, dass die Schwesternschaft eines Karmels auf dem Schafott landet – und Blanche ihre eigene Angst überwindet, um sich dem höheren Ziel, dem Martyrium, hinzugeben.

Da hätte es sich angeboten, einen aktuellen Bezug herzustellen. Stattdessen hat sich Regisseur Guy Joosten für die eher traditionelle Inszenierung entschieden. Annähernd zeitgenössische Kostüme wählt Johannes Leiacker aus. Die stellt er in karge, funktionale Bühnenbilder mit symbolischem Charakter. Nichts an sich wirklich Aufregendes. Die Bücherwand im ersten Bild wünscht sich wohl jeder Halbgebildete ins eigene Wohnzimmer. Der Jesus am Kreuz in der zweiten Hälfte der Aufführung irritiert, wie er da so frei schwebend rückwärtig im Bühnenraum an Seilen aufgehängt ist. Was Leiacker gelingt, ist solides Handwerk. Konsequent durch eine Vielzahl von Bildern zu führen, ist schon eine Kunst. Bis zum genialen Wurf bleibt noch ein weiter Weg. Komisch wird es erst, wenn die Nonne den Teppich unbeholfen auf der Bühne ausrollen muss.

Lichtgestalter Manfred Voss versucht sich in Variationen von weiß. Das gelingt ihm häufig eindrucksvoll. Warum das Licht letztlich ins Orangefarbene umschlägt, soll vielleicht mit Hoffnung angesichts des Schafotts zu tun haben. So recht erschließen will es sich nicht.

Axel Kober leitet das Orchester mit gewohnter Brillanz - und Vehemenz. Dem emotionalen Duktus des Komponisten folgend, geht da schon manches Mal die Stimme des Sängers oder der Sängerin für das Publikum unter.

Routiniert am oberen Level bewegt sich das Ensemble auf der Bühne. Hervorstechend Anja Silja in der Rolle der sterbenden Priorin. Die kann ihr ganzes Repertoire vom glockenhellen Sopran bis zur brechenden Stimme der zunehmend verwirrten Nonne ausspielen.

Das weiß auch das Publikum zu würdigen. Frenetischer Beifall minutenlang für die Silja, ebenso wie für Anett Fritsch als Blanche und das übrige Ensemble. Befreiend wirkt das, nachdem es, für das Düsseldorfer Publikum ungewöhnlich, kaum oder nur selten und dann zögerlich Szenenapplaus gibt. Vielleicht hat da auch ein wenig die Angst mitgespielt, sich mit eigenen Ängsten auseinanderzusetzen. Das mag auch der Grund sein, warum man diese Aufführung zur Kenntnis nehmen wird, ohne sie weiter zu diskutieren: Angst ist immer. Darüber spricht man nicht gern.

msz

 

Fotos: Hans Jörg Michel