Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

MADAMA BUTTERFLY
(Giacomo Puccini)
7. Dezember 2010
(Premiere am 27. Juni 1997,
Wiederaufnahme am 31. Oktober 2010)

Deutsche Oper am Rhein (Düsseldorf)

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


Hörbeispiele


 

zurück       Leserbrief

Zwischen den Kulturen

Die Inszenierung der Premiere von Robert Carsen liegt 13 Jahre zurück, seit vergangenem Jahr läuft Madama Butterfly als Wiederaufnahme im Repertoire der Deutschen Oper am Rhein. „Die Handlung der Oper ist den Leserinnen und Lesern von Opernnetz nun wirklich hinlänglich bekannt“, warnt zudem ein Freund vor Wiederholung. Ist also dem Besuch der Aufführung neben der Aufzählung der Befindlichkeiten am Abend nichts mehr hinzuzufügen?

Eine rhetorische Frage, die zwangsläufig ein deutliches „Doch!“ als Antwort beinhaltet. Viel steht geschrieben über die Konfrontation westlicher und östlicher Kulturen in der Madama Butterfly. Wirtschaftliche und emotionale Schwierigkeiten. Die Arroganz und Unwissenheit des Marineoffiziers Pinkerton, die oft genug als Rassismus gedeutet wird. Was bei solchen Diskussionen zu kurz kommt, und schon sind wir im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs, sind die Opfer, die zu beklagen sind, wenn Kulturen aufeinanderprallen. Die Opfer, die allzu oft zu selbstverständlich in Kauf genommen werden und ganz leicht im Dunstkreis ausländerfeindlicher Debatten verschwinden. Die Opfer kultureller Begegnungen sind die Kinder, die daraus entstehen. So läuft an diesem Abend trotz glanzvoller Leistungen einer den anderen den Rang ab: Ben Schreiber, das Kind.

Keine Sprechrolle, keine großartige Sängerpartie, stumm und marionettenhaft sorgt Ben für die Beklommenheit, die Puccini nach der Niederlage an der Mailänder Scala 1904 aus der prima versione entfernte. Hin- und hergeschoben, nach Bedarf getätschelt und verhätschelt, immer aber ohne Chance, sich zu artikulieren. Als Fahnenschwenker und maskierter (also bis zur Unkenntlichkeit entstellter) Messer schwingender Bub legt Ben den Finger in die schmerzende Wunde gegenwärtiger Diskussion. Wenn die Kinder auf der Strecke bleiben, versagt der gesellschaftliche Diskurs. Ganz groß, kleiner Mann!

Ansonsten bleibt Spielleiterin Annegret Frübing den Zuschauerinnen und Zuschauern einiges schuldig. Die im ersten Akt gesungenen Partien von Tenor und Bariton bleiben fernab auf der Höhe des Schiffsbugs jenseits des Orchestergrabens weitestgehend ungehört. Leider sind auch die Obertitel nur fragmentarisch und stellenweise fehlerhaft. Lieblos möchte man das nennen.

Lieblos, ja, unvorteilhaft, ist gar das Kostüm der Madama Butterfly. Eine asiatische Schönheit, eine ehemalige Geisha, die sich in einem Suit bewegen muss, das trotz Seidenschimmers einen attraktiven Körper glanzlos erscheinen lässt, ist dem Niveau der Aufführung nicht angemessen. Ganz nebenbei staunt man über die konventionellen, wenig fantasiebehafteten Kostüme eines Paul Steinberg, der auf eine weltumspannende Karriere zurückblicken darf. Er zeichnet auch für das Bühnenbild verantwortlich, das einerseits den japanischen Charakter in einem eher minimalistischen Sinne unterstreicht, andererseits mit nichtssagenden "Laubsägearbeiten" eine Bodenstruktur auf der Bühne schafft, die die Darsteller nicht nur immer wieder in ihrem Spiel unterbricht, sondern mit Durchbrüchen hier und da bewirkt, dass geradezu gefährliche Situationen entstehen. Viel erfreulicher und sinngebender hingegen die Leistungen der Sängerinnen und Sänger.

Karine Babajanyan als Cio-CioSan, die „wegen einer kurzfristigen Erkrankung von Natalya Kovaleva“ einspringt, entzückt das Publikum in dieser gewiss nicht einfach zu singenden Partie und verdient den ihr entgegengebrachten Szenenapplaus. Ein Höhepunkt ihrer Sangeskünste ist im Duett mit Katarzyna Kuncio zu bewundern, die der Szenerie als Dienerin Suzuki ansonsten Ruhe und Stabilität verleiht. Wenn Madama Butterfly sich in Emotionen verliert, weil die Ankunft von Mr B.F. Pinkerton unmittelbar bevorsteht, moderiert Suzuki in angstvoller Erwartung. Das schmiegt sich an die Protagonistin an und überzeugt das Publikum. Arnold Rutkowski spielt die ihm zugestandene Rolle mit Überzeugung. Sein Laissez-faire, die „amerikanische Leichtigkeit“, drücken sich in Ton und Haltung aus. Über sich selbst hinaus wächst der Tenor, wenn er die Bühne flieht, weil er die Situation nicht mehr aushält. Sharpless, dem Stefan Heidemann bravourös Figur und Stimme leiht, kann im Zögern und Zaudern kaum besser wirken. Simenon Esper gibt den Goro als halbseidene Erscheinung und trifft damit den Nerv seiner Rolle. Wenn endlich Kate Pinkerton blondiert und „back to the fifties“ auftritt, verkörpert der Mezzosopran Melanie Langs eben jene halbherzige Überzeugtheit, jenes fadenscheinige „Es dient doch nur dem Wohle des Kindes“, dass es dem Publikum zuwider ist. Überzeugender kann eine Partie kaum sein.

Wer auf der Besetzungsliste Christoph Kurig entdeckt, weiß, dass auf den Zuschauer die perfekte Leitung eines Chors wartet, der sich zu Höchstleistungen emporschwingt. So ist das auch hier. Enrico Dovico zeigt sich vollkommen souverän in der musikalischen Leitung, hat Orchester und Darsteller fest im Griff, die sich ihm gern anvertrauen und in allen Nuancen folgen. Trotz der akustischen Schwächen im ersten Akt ein Hörgenuss.

Vielleicht mag man sich im durchschnittlich vorangeschrittenen Alter des Publikums an diesem Abend nicht mehr so recht mit der sozialen Problematik auseinandersetzen, sondern eher auf die künstlerischen Qualitäten von Darstellerinnen und Darstellern konzentrieren. Dann bringt sich das Publikum zwar um einen wichtigen Teil der Aufführung, goutiert aber immerhin, dass es großartige Akteure erlebt hat. In den 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hätte nach einer solchen Darbietung ein Sit-in stattgefunden, um die Opferfunktion der Kinder zu diskutieren. An diesem Abend beeilen sich die Gäste, durch die Kälte in die Parkhäuser zu kommen. Schade.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Frank Heller