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Fakten zur Aufführung 

THE BLACK RIDER
(Robert Wilson, Tom Waits,
William S. Burroughs)
20. Januar 2010
(Premiere: 30. Oktober 2009)

Schauspielhaus Düsseldorf

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Tout swaz ir welt

Eine romantische Oper als musikalische Revue im amerikanischen Stil inszenieren – kann das gut gehen? Nein. Deshalb haben William S. Burroughs und Tom Waits auf eine Kopie des Freischütz verzichtet und stattdessen, wie Komponist Carl Maria von Weber, auf den Fall des Georg Schmid von 1710 und die Erzählung „Freischütz. Eine Volkssage“ von Johann August Apel in seinem Gespensterbuch von 1810 zurückgegriffen. Burroughs hat mit Black Rider eine Drogenallegorie erschaffen, wie sie wohl in unserer heutigen Zwangsgesellschaft von Nichtrauchern und Gesundessern undenkbar wäre.

Die Geschichte selbst ist schnell erzählt. Schreiber Wilhelm will in eine Försterfamilie einheiraten. Dazu muss er schießen lernen. Erst, nachdem ihm Stelzfuß „Zauberkugeln“ schenkt, ist er erfolgreich. Der Erfolg macht Wilhelm süchtig, und er nimmt weitere Kugeln von Mr. Pegleg an, ohne sich um den Preis zu kümmern. Am Ende stirbt die Braut durch Wilhelms Hand.

Trotz diffuser Einsätze von Licht, Musik und Ton, trotz trockenen Klangs der gesprochenen Texte im ersten Drittel, ja, trotz überzogener Slapstick-Einlagen, die dem amerikanischen Einfluss geschuldet sein mögen, wird der Teilhaber dieser Inszenierung, die erst zwei Jahrzehnte nach der Uraufführung im Hamburger Thalia Theater in Düsseldorf Einzug findet, ein leicht überdrehtes, aber eindringliches Erlebnis erinnern. Für die Unvergesslichkeit dieses Abends sorgt auch die typisch depressive bis exaltierte Musik eines Tom Waits, die unter der Leitung von Günter Lehr von einer gut aufgelegten Band live gespielt wird. und den Sound der frühen Jahre des Beat aufleben lässt.

Doch zunächst einmal müssen die Zuschauer ein unüberschaubares Gewusel in Kauf nehmen, später lässt Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer dauernd irritierende Nebenhandlungen auf der Bühne zu. Das mag an episches Theater Brechtscher Theorie angelehnt sein, trägt aber kaum dazu bei, die Zuschauer sicher durch die Handlung zu führen. Die beginnt mit dem Kuriositätenkabinett von Harper’s Bazaar und endet noch lange nicht in einer völlig grotesken, dafür aber sinnbefreiten Werbeeinblendung. Das Bühnenbild von Thomas Goerge wirkt anfangs eher karg, erinnert an die Kombination von Schwarzwald und amerikanischem Ghetto mit groben Graffiti an den Wänden und erschließt sich erst im Fortschritt der Handlung in seiner Bedeutsamkeit. „Macht, was Ihr wollt“ wird, verbunden mit dem „Narcotic agent“, erst nach und nach verständlich und damit spannend. Wann immer Hans-Joachim Börensen den Beamer einsetzt, gelingt es ihm, das Bild auf der Bühne stimmungsvoll einzufärben; das grelle Weiß, mit dem er die Zuschauer zwischenzeitlich überrascht, sorgt recht unmotiviert für Schmerz in den Augen.

Die Schauspieler fangen alle szenischen Irritationen auf. Michael Schütz verkörpert Stelzfuß in kühl-distanzierter Spielweise sehr überzeugend als den Typ des Loosers aus amerikanischen Thrillern, der letztendlich der Gewinner ist. Thiemo Schwarz taucht in der Besetzungsliste zwar „unter ferner liefen“ auf und spielt im ersten Drittel auch eher unscheinbar, im Nachhinein ist das aber nichts als Scharade. In der zweiten Hälfte dreht er auf und verausgabt sich völlig. Ob der Striptease nötig ist, scheint angesichts des vollen Einsatzes egal: Toll! Seine Braut Käthchen, dargestellt von Katrin Röver, bleibt dahinter zurück, überzeugt aber in stimmlichen Nuancen. Xenia Snagowski verkörpert gleich drei Rollen, brilliert zuvörderst allerdings als Georg Schmid. Warum die sich zwischenzeitlich als Hund verdingen muss, mag an den drogengeschwängerten Vorstellungen eines William S. Burroughs liegen. Überzeugend solide gibt Pierre Siegenthaler den Bertram, Vater der Braut. Winfried Küppers trägt den Kuno, der empfiehlt zu tun, was ihr wollt („Tout swaz ir welt“) zunächst spannend-gruselig vor, gerät aber im Laufe der Handlung etwas in den Hintergrund. Die Kostüme von Michael Sieberock-Serafimowitsch werden frappierend konkret-satirisch, wenn der Hase seine „Löffel“ in Form von zwei Kochlöffeln abgibt.

„Alles, was du brauchst, sind die richtigen Kugeln“ lässt Burroughs den Teufel Pegleg zu Wilhelm sagen. Alles, was du brauchst, ist die richtige Droge, meint er. Der Teufel, der Burroughs selbst auf das Herzlichste begrüßt hat. Die Zuschauer haben das an diesem Abend begrüßt und mit Szenenapplaus quittiert. Ob es über den Abend hinausreicht und Diskussionen provoziert über die Richtung, in die unsere Gesellschaft unterwegs ist, bleibt unbestimmt. Auf alle Fälle: Ein animierender Theaterabend mit – nun ja – Spaß an der (tödlichen) Freud’.

Michael S. Zerban

 





Fotos: Sebastian Hoppe