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Fakten zur Aufführung 

BAHOK
(4. April 2008)
(Premiere: 25. Januar 2008, Peking)

tanzhaus NRW Düsseldorf


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Tanzen mit dem Turm von Babel

Mit einem Tanzabend der Extraklasse wartete das tanzhaus nrw auf. Bahok der Akram Khan Company in Verbindung mit dem National Ballet of China erlebte in Düsseldorf seine deutsche Erstaufführung. Das bengalische Wort Bahok lautet auf deutsch Lastenträger. Die Last, das ist das Eigene, die eigene Biografie, Herkunft, Sprache, Heimat und die Vorstellungen, über die man verfügt und die man den anderen vermitteln muss, will man sich mit ihnen verständigen. Ob das geht und wie das trotz der babylonischen Sprachenverwirrung gehen kann, davon handelt Bahok.

Das Stück spielt auf einem internationalen Flughafen, einem Ort also, der in der neueren Soziologie als "Nicht-Ort" (Marc Augé) bezeichnet wird, ein Ort ohne Eigenschaften, austauschbar, international gleich und ohne besondere Spezifika. Das Bühnenbild (Akram Khan, Fabiana Piccioli, Sander Loonen), das nur aus ein paar Stühlen für die Wartenden und einer dominanten und häufig ratternden Anzeigetafel besteht, lässt den Tänzer/innen die nötige Freiheit für konzentrierte Einzelsets und den großen Auftritt der ganzen Gruppe: Eulalia Ayguade Farro (Spanien), Saju (Indien), Young Jin Kim (Südkorea), Andrej Petrovic (Slovakei), Shanell Winlock (Südafrika), Meng Ning Ning, Zhang Zhenxin, Wang Yitong (VR China). Es ist die erste Arbeit, in der Akram Khan nicht selber tanzt und die auch ohne ihn auf Tournee geht.

Die bühnenbildbestimmende Anzeigetafel ist das Element, auf das alle Personen einzeln bezogen sind und reagieren. Die anonyme Tafel wirft die Tänzer/innen zurück, indem sie meist eine zielgerichtete Information verweigert. Man wartet auf die Information: Wann geht es weiter? Wann geht mein Flug? Doch die Tafel reagiert nur wie ein zeitgenössisches Orakel: "Please wait", "Delayed", "Rescheduled", "Water", "Earth" oder "Phone home". Ab und an ist sie auch hilfreich, indem sie etwa das Koreanisch von Young Jin Kim in die Sprache der globalisierten Welt übersetzt, ins Englische. Die Situation der gestrandeten Reisenden, ihr enerviertes Warten auf die Weiterreise, das Reisen an sich wird zum Dauerzustand. Die Tänzer/innen mit unterschiedlichem geografischen und Ausbildungshintergrund nutzen diese Situation auf ihre Weise. Da die wörtliche Sprache für die Kommunikation versagt, stellen sie sich in ihrer Körpersprache, der des Tanzes, individuell vor. Im Gegensatz zum biblischen Mythos akzentuiert Khan, Brite mit Vorfahren aus Bangladesch, in seinem neuen, etwa 75 Minuten dauernden Tanztheaterstück, dass Verständigung trotz der Sprachverwirrung möglich ist. Darüber hinaus liefert er eine Neudeutung des Begriffs Heimat. Wenn die Anzeige am Ende des Stückes nacheinander home – hope – home anzeigt, illustriert das Khans These, dass die Heimat letztendlich der Körper ist, der mit den Erfahrungen und Erinnerungen der Biografie imprägniert ist und der uns auf der Lebensreise nicht verlässt und immer unsere Heimat bleibt.

Die Tanzsprache Khans in Bahok besteht aus dem traditionellen indischen Kathak, (aus Nordindien stammend und mit jahrhundertealtem rituellem Hintergrund), klassischem und modernem zeitgenössischen, und - ironisch eingebunden - auch traditionellem chinesischen Tanz. Khan vereint die verschiedenen kulturellen Dispositionen aber nicht zu einem globalen Potpourri, sondern sie unterliegen ganz streng seiner ganz eigenen Formstrenge, sodass sich dieses neue Stück trotz der Integration dreier Tänzer/innen des Chinesischen National Ballets nicht stark von seinen bisherigen Stücken unterscheidet. Solos, Duos, Monologe, Dialoge, situative Miniszenen an verschiedenen Orten der Bühne wechseln sich ab mit brillanten Gruppenszenen, oft in einer erschreckend rasenden Geschwindigkeit, mal aggressiv, mal harmonisch, mal witzig-anekdotisch und überraschend, kommunikativ und einsam und allesamt überragend getanzt. Humor und Poesie bildet jedoch die Grundkonstante des berührenden Stückes, das im ausverkauften tanzhaus nrw ganz exzellent aufgenommen wurde.

Der Komponist Nitin Sawhney ist wie Khan Brite mit asiatischen Vorfahren. Er ist bekannt geworden durch Film-, Musical-, Orchestermusik und eigene Pop-Produktionen. Mit Khan verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit. Sawhneys Soundtrack für das Stück ist voller Kontraste, beginnend mit einem ohrenbetäubenden Dröhnen, als würde man im Motor eines Flugzeuges sitzen und das auch den ganzen Raum in Vibrationen versetzte. Die Musik wechselt schnell zwischen harmonischen und disharmonischen, schnellen und langsamen Passagen, eine Mischung aus asiatischen und westlichen Klängen. Wie der Tanz Khans besitzt auch sie eine hybride Signatur und Genese aus westlichen und östlichen Traditionen.

Bahok wurde international koproduziert durch das tanzhaus nrw, Sadler’s Wells Theatre, British Council, The Liverpool Culture Company mit Merseyside Dance Initiative, DanceXchange, China Now (GB), Theatre de La Ville (F) und dem National Arts Center (CAN) und im Januar in Peking uraufgeführt. Das Gastspiel fand statt im Rahmen der Reihe „Chin-A-moves – ccop Europa“, gefördert durch das Kulturprogramm 2007 – 13 der Europäischen Union sowie die Kunststiftung NRW, ein auf ein Jahr angelegtes Projekt des tanzhaus nrw und zielt auf den Ausbau des Dialogs zwischen China und Europa auf dem Gebiet des zeitgenössischen Tanzes.

Die internationale Tournee führt die Aufführung noch nach Pully, Genf, Neuchâtel, Brighton, Birmingham, Glasgow, Lissabon, Paris, London, Montpellier. In Deutschland ist es wieder im August zu sehen: In Frankfurt/M im Künstlerhaus Mousonturm (12.8.) und beim Festival Tanz in Berlin.

Dirk Ufermann

 

 






Fotos: Liu Yang