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Fakten zur Aufführung 

LUCIO SILLA
(Wolfgang Amadeus Mozart)
21. Juni 2008 (Premiere)

Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf


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Die opera seria als Baustelle

Wolfgang Amadeus Mozarts „Lucio Silla“ ist eine Randerscheinung im Spielplan der Opernhäuser. Und nach der Premiere in der Düsseldorfer Rheinoper – ein durch und durch überwältigender Erfolg für das Haus - beginnt man zu ahnen, weshalb. „Lucio Silla“ nämlich rechnet mit einem Sängersextett, das höchsten Anforderungen genügen muss. Mozart standen für seine dritte Oper, die er im Alter von 16 Jahren für Mailand schrieb, die besten Künstler Italiens zur Verfügung. Die lockte der junge Heißsporn mit aberwitzigen Koloraturen, überlangen Phrasen, wahnsinnigen Sprüngen aus der Reserve. Welches „normale“ Stadttheater kann heutzutage dieses Stück adäquat besetzen?

In Düsseldorf gelingt dies. Und neben der musikalischen Qualität ist es die Inszenierung von Christof Loy, die überschäumend gefeiert wird – von nörglerischen „Buhs“ einmal abgesehen. Dabei unternimmt der Regisseur eigentlich nichts Spektakuläres. Wie auch? „Lucio Silla“, die Geschichte des römischen Diktators, der seine Grausamkeit ablegt und am Ende seinen Feinden verzeiht, ist wenig theatralisch. Doch für den jungen Mozart beginnt mit diesem Werk das Ringen um eine neue Form der Oper, das Bemühen, die opera seria zu reformieren. Eine formale Baustelle sozusagen.

Diesen Gedanken nimmt Christof Loy auf und lässt sich von Herbert Murauer einen noch unfertigen Festsaal auf die Bühne stellen; ausgestattet mit Gerüsten, einem in der Höhe variablen Podest, etlichen schon zum Einsatz bereiten Kronleuchtern und einem Mikrofonverstärker. In dieser schlichten Umgebung sprühen sie: die großartigen Gefühle, die eruptiven Ausbrüche von Hass und Verzweiflung, innigste Glücksmomente. Dies alles gekleidet in eine unglaublich sprechende, anrührende Musik!

Eine fortschreitende Handlung tritt gegenüber dem expressiven musikalischen Moment deutlich zurück. Und auch hier greift Loys Baustellengedanke. Bei ihm bewegen sich die Solisten in Konzertkleidung gemessenen Schrittes über die Rampen und Ebenen, stellen sich zueinander, tauschen Blicke aus - wie es ihrer Gemütsverfassung entspricht. Nicht um die Entwicklung von Figuren, sondern um die Auslotung von Emotionen geht es.

Hier steht und fällt alles mit den Stimmen, wobei man in Düsseldorf fast ausnahmslos aus dem Vollen schöpfen kann: einzig Bruce Rankin in der Rolle des Titelhelden bietet Mittelmaß, singt verhalten und ist unsauber in der Intonation. Mirko Roschkowski gibt mit ebenmäßigem und jederzeit strahlendem Tenor den Silla-Vertrauten Aufidio. Kerstin Avemo als Lucio Cinna und Romana Noack als Celia, der Schwester des Diktators, lassen ihren schönen Sopranen freien Lauf, singen mit Bereitschaft zum Risiko, ohne angezogene Handbremse, formulieren virtuos und mit großer Sicherheit ihre aberwitzigen Klangkaskaden.

Der verbannte, heimlich zurückgekehrte Cecilio, der die von Lucio Silla begehrte Geliebte Giunia retten will, ist Mariselle Martinez. Ihr toller Mezzo erfüllt alle von Mozart verlangten Tugenden: füllige Tiefe und brillante Höhe, stupende Koloratursicherheit und intensive Farben. Als Giunia - im Grunde die Hauptrolle der ganzen Oper - ist in Düsseldorf Simone Kermes verpflichtet, die sich im barockem Repertoire sehr profiliert hat. Und das merkt man auch hier in dieser Inszenierung. Ihre Arien setzt Kermes zu wahren Feuerwerken um, jede Koloratur ist auf das Feinste gearbeitet, noch jede geringste Schattierung von Emotion kommt zum Ausdruck - bis ganz zum Schluss, wo sie im fiktiven Dialog mit ihrem Geliebten ihr ergreifendes „Frà i pensier“ anstimmt, begleitet von den con sordino spielenden Streichern. Gänsehaut pur!

Den vollen Erfolg dieser Mozart-Produktion runden die Düsseldorfer Symphoniker unter Andreas Stoehr ab. Gut, wenn ein Opernhaus einen in historischer Aufführungspraxis bewanderten Kapellmeister engagiert hat. So können „ganz normale“ Orchestermusiker zu Spezialisten werden, die Mozart jeden Moment lang lebendig werden lassen.

Christof Loys Inszenierung ist auch in der kommenden Spielzeit 2008/2009 zu sehen. Nichts wie hin! Man sollte sich allerdings auf einen langen Vier-Stunden-Abend einstellen. Ein Teil des Premieren-Publikums schien damit überfordert und verließ das Theater statt zur Pause erst später: mitten oder gegen Ende des zweiten Aktes. Ein Fauxpas ersten Ranges - und das in der sich ach so etwas auf die Etiketten haltenden Landeshauptstadt!

Christoph Schulte im Walde
 




Fotos: Eduard Straub