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Fakten zur Aufführung 

THE RAKE'S PROGRESS
(Igor Strawinsky)
30. März 2008 (Premiere)

Theater Dortmund


Points of Honor                      

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Moral postmodern

Eine frappierende Kette: Hogarth entwickelt im 18. Jahrhundert eine pädagogisch intendierte Kupferstich-Serie über den Niedergang eines „rake“; W. H. Auden schreibt um 1950 ein Libretto, geprägt von den dramatischen Zeitbrüchen; Strawinsky komponiert neoklassisch, greift vielfältige musikalische Traditionen auf – von barocken Themen bis zur U-Musik seiner Zeit; und Roland Schwab inszeniert in Dortmund eine postmoderne „aufklärerische“ Parabel. Er zeigt die Figuren als Teile eines außengesteuerten „Spiels“, verzichtet auf psychologische Analysen, setzt auf die allgegenwärtige Macht permanent wirkender Kräfte.

Piero Vinciguerra schafft einen entsprechenden Bühnenraum: eine riesige, nach vorn offene „Tonne“ mit optisch verblüffenden Lichteffekten, ergänzt durch geometrische Etagen mit multifunktionalen Zellen – als Show-Räume voyeuristischer Lust oder als Teile einer „Maschine“. Diese Konstruktion vermittelt den ausweglosen Dualismus von unmöglicher individueller Freiheit und struktureller Determinierung.

Und so agieren die Bühnenfiguren – „maschinenhaft“, wie Marionetten (fast im Kleistschen Verständnis). Jeff Martins Tom Rakewell ist ein boy next door, verführt und fehlgeleitet; entsprechend die stimmliche Interpretation – keine wüsten Ausbrüche, stattdessen gepflegter, klangschöner Gesang. Lydia Skouridis gibt der vergeblich liebenden Ann lyrischen Ton – hingebungsvoll-hoffnungslos, ohne exaltierte Passagen, dafür mit ausgeglichenem Legato. Vidar Gunnarssons Trulove bleibt ein besorgter moralisch prinzipientreuer Vater mit eindringlicher Artikulation. Ji Young Michel gibt der Mother Goose markante stimmliche Statur. Tansel Akzeybek wird als Auktionator von der Regie vernachlässigt, hat kaum die Chance, seine komödiantischen Möglichkeiten und seine agile Stimme zu präsentieren. Hannes Brock ist gesundheitlich schwer indisponiert, spielt die Türkenbab in fulminantem Kostüm mit gebrochener Grandezza, bleibt stimmlich – natürlich -unvollkommen. Simon Neal gibt dem Nick Shadow den Charakter des strippenziehenden „Teufels“ – intensiv körperbetont agierend, stimmlich mit voller Kraft und „dämonischem“ Ausdruck. Und dann der Chor (Leitung Granville Walker): spielfreudig-exhibitionistisch in der Soho-Szene, perfekt im kollektiven Gesang!

Jac van Steen animiert die sensibel intonierenden Dortmunder Philharmoniker zu zurückhaltendem Spiel, besteht auf einen distanzierten Strawinsky-Klang, lässt schöne Transparenz hören – aber es fehlen die stimulierenden dynamischen Wechsel.

Das Premieren-Publikum im nicht voll besetzten Dortmunder Haus akzeptiert die gelungene postmoderne Konzeption, goutiert die zahlreichen gestischen und optischen Finessen, lässt sich von den phantastischen Kostümen (Renée Listerdal) hinreißen und dankt am Ende mit großer Begeisterung.

Mit gesteigertem Tempo und einem intakten Hannes Brock verspricht dieser Rake zu einem Erfolg für das Dortmunder Musiktheater zu werden.

Und wenn man nach Schluss der Veranstaltung nicht unendlich lange vor dem Parkhaus-Automaten warten muss, dann könnte das Dortmunder Haus zum Ziel vieler, vieler Opernfreunde werden! (frs)
 






Fotos: Thomas M. Jauk