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Fakten zur Aufführung 

NORMA
(Vincenzo Bellini)
29. Juni 2010

Konzerthaus Dortmund


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"Casta Diva" von der Diva

Sechs Minuten und fünfzig Sekunden braucht Cecilia Bartoli für „Casta diva“, jenen Megahit aus Vincenzo Bellinis Norma. Aber nach dieser Arie kommen noch knapp drei Stunden Musik - schönste Belcanto-Oper, die die Bartoli bislang aber noch nie komplett gesungen hat. Das ist seit Dienstag anders. Cecilia Bartoli gab ihr Rollendebut, mitten im Ruhrgebiet, mitten in der Kulturhauptstadt 2010. Seit Monaten war dieser (konzertante) Operngipfel im Konzerthaus Dortmund ausverkauft, alle wollten sehen, wollten hören – ganz hautnah.

Es ist schlichtweg umwerfend: wie diese Ausnahmesängerin sich hineinversenkt in die durcheinander peitschenden Gefühlslagen der Druiden-Priesterin Norma, wie sie zwischen Hoffnung und Verzweiflung changiert, wie sie Frieden ersehnt, genau so gut aber auch tödliche Rachegelüste in ihr hochkochen – das ist vom ersten Moment an derart faszinierend, dass man der Sängerin quasi an den Lippen hängt – auch ohne jede szenische Realisierung (die man aber nach einem solchen Erlebnis dringend herbeisehnt). „Casta Diva“ ist da nur ein allererster Höhepunkt. Viele andere folgen, bis hin zum tragischen Schluss, wenn Norma sich selbst dem Scheiterhaufen überantwortet.

Bellinis Norma ist für uns Heutige untrennbar verbunden mit dem Namen Maria Callas. Doch das könnte sich jetzt ändern. Die Bartoli nämlich zeichnet ein etwas anderes Rollenportrait, das sich auf die Ästhetik des frühen 19. Jahrhunderts zurückbesinnt. Es ist wie mit einem wertvollen alten Ölgemälde: wenn ein kundiger Restaurator erst einmal den trüb gewordenen Firnis abgenommen hat, leuchtet das Bild wieder in frischen Farben. Es erzählt nach wie vor dieselbe Geschichte über Liebe, Enttäuschung, Verrat, Verletzung - keine Frage. Aber es ist näher dran am ursprünglich Gemeinten. Und nicht mehr am dem, was das 19. und 20. Jahrhundert später aus Bellinis subtil angelegter Partitur (auch) gemacht hat. Die Bartoli singt schwebender, leichter, heller als ihre Kolleginnen vor vierzig, fünfzig Jahren. Aber sie singt sich ihre Seele aus dem Leib. Jede Note kommt aus tiefstem Innern. Das kann ungeschützt ruppig ausfallen – oder schlichtweg zu Tränen rührend.

Mit Thomas Hengelbrock ist ein genialer Dirigent mit im Bellini-Boot, der sein Balthasar-Neumann-Ensemble und den fabelhaft agierenden Balthasar-Neumann-Chor auf Originalklang gestimmt weiß. Ohne romantischen Zuckerguss, ohne unangemessene dynamische Extreme. Das ist die klangliche Folie für die betörende Interpretation der Bartoli. Mit ihr werden alle übrigen Solisten mit orkanhaftem Applaus gefeiert: Rebeca Olvera als unglaublich mitfühlende Adalgisa, John Osborn als betrügender Pollione, Michele Pertusi als würdiges Druiden-Oberhaupt Oroveso, Irène Friedli als Normas Vertraute Clotilde und Tansel Akzeybek als Flavio. Ein Ensemble der Extraklasse.
Dieses Norma-Debut der Bartoli wird in die Annalen der Kulturhauptstadt und in die des Dortmunder Konzerthauses eingehen. Jetzt darf man gespannt sein auf die erste inszenierte Norma mit Cecilia Bartoli.

Christoph Schulte im Walde






 
 
Fotos: Mark Wohlrab/ Konzerthaus Dortmund