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Fakten zur Aufführung 

DER JUNGE LORD
(Hans Werner Henze)
17. Mai 2009 (Premiere)

Theater Dortmund


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Der anarchische Lord

Hans Werner Henzes Gesamtwerk aufzuführen, ist Ziel der europäischen Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Das Opernhaus Dortmund ist dieser Zeit ein klein wenig voraus und bringt schon jetzt die komische Oper Der junge Lord auf die Bühne. Ein Gemeinschaftswerk Henzes und seiner Freundin Ingeborg Bachmann, die (auf Grundlage des Märchens von Wilhelm Hauff) als Librettistin eindrucksvoll das Vorurteil widerlegt, Oper wirke nur durch Musik. Mit Henze und Bachmann hat sich ein Duo gefunden, das wie Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal kongenial zusammenwirken konnte.
Der junge Lord ist eine böse Oper, eine gemeine Oper, die einer autoritätsgläubigen bürgerlichen Gesellschaft den Spiegel vorhält. „Ein Affe ist’s, es ist ein Aff’“, den die Honoratioren für den jungen, adeligen Trendsetter hielten. Dies die frappierende Erkenntnis am Schluss der Geschichte. Aber Der junge Lord ist keine misanthropische Oper: Henze und Bachmann kennen die Menschen, bauen eine wunderschöne, sehr beseelte und hoffnungsvolle Liebesgeschichte ein, die zwischen der reichen Luise und dem Studenten Wilhelm.
Für Dortmunds Intendantin Christine Mielitz wird diese Produktion zum Triumph und lässt vergessen, dass der künstlerische Ertrag der laufenden Spielzeit in Dortmund bislang allenfalls mit dem Attribut „durchwachsen“ versehen werden kann.
Mielitz besinnt sich auf ihre Tugenden als Regisseurin, auf ihr untrügliches Gespür für die Wirkung von Bildern und die Fähigkeit, Massen mit leichter Hand auf der Bühne zu bewegen. Und da Der junge Lord viel Personal braucht, ist Mielitz hier ganz in ihrem Element. Großartig und virtuos, was sie da macht. Unterstützung erhält sie von Justo Moret Ruiz, der eine opulent schöne finale Ballszene auf die Bühne bringt, in der der junge Lord seine wahre, tierische Identität zu erkennen gibt. Bis dahin ist viel los auf der Bühne, die sich in ein deutsches Provinznest namens Hülsdorf-Gotha verwandelt. Da tummeln sich ganz typische Vertreter der Bürgerlichkeit: ein Bürgermeister, ein Oberjustizrat, ein Professor, ein Ökonomierat und, und, und. Natürlich auch deren Gattinnen, die viel auf sich halten. Als die Ankunft des reichen englischen Gelehrten Sir Edgar erwartet wird, ist alles aus dem Häuschen. Roter Teppich, Salutschüsse... Doch Sir Edgar straft diese Gesellschaft mit Ignoranz, zieht sich zurück in seinen Wohnsitz. Pure Missachtung - das passt den Provinzlern nun gar nicht.
Aufgeschreckt werden sie durch unheimliche Vorkommnisse im Etablissement Sir Edgars: Tumult und Schreie dringen aus ihm. Doch diese seien nur die Begleiterscheinungen bei der Erziehung von Lord Barrat, dem Neffen des Grafen – dieser junge Lord wird kurz darauf der hehren Gesellschaft vorgestellt und entfaltet sein ganzes exzentrisches, ja anarchisches Potenzial. Man ist begeistert! Vordergründig zumindest. Obwohl man die rüpelhaften Sitten – der Lord springt quasi über Tische und Stühle – wohl kaum gutheißt. Aber egal: es ist ja schließlich ein Lord. Bis zum Punkt des Entsetzens, dass er in Wahrheit eben „ein Aff’“ ist.
Ein Ausbund an Energie entlädt sich auf der Bühne, neben sinnlichen, ruhigen Momenten ist immer wieder viel Action. Und noch ein Pfund gibt es, mit dem Christine Mielitz wuchern kann: mag die Bühne auch noch so voll sein, ja scheinbar vor Menschen überquellen: sie schafft es – auch mit Hilfe von Ausstatter Kaspar Glarner -, jedem seine Individualität zu verleihen. Und wie Henzes Musik reich an Anspielungen und Zitaten (etwa von Rossini oder Verdi) ist, spielt Mielitz mit Ähnlichkeiten: Lord Barrat schaut verdächtig nach Tokio Hotel aus, Student Wilhelm könnte man mit Max Raabe verwechseln und die mit Bananenreif geschmückte Schwarze mit Josephine Baker.
Ein ganz wesentliches und gelungenes Moment dieser Inszenierung sind nicht zuletzt die Projektionen, die mittels Lasertechnik auf die Gaze-Vorhänge geworfen werden. Ein raffiniertes, kreatives Mittel. So werden beispielsweise Sir Edgars Stretch-Limousine und dessen Anwesen im Handumdrehen und äußerst plastisch vermittelt. Und so fallen auch Schnee und Regen leise auf die Bühne...

Gesungen wird fabelhaft – nur nicht von Hannes Brock, der die (stumme) Rolle des Sir Edgar würdevoll ausfüllt. Simon Neal als Sekretär ist quasi sein tönendes Sprach-(Stimm-)Rohr. Jeff Martin kurvt wie ein Wirbelwind durch die Kulissen und hat sichtlich Spaß daran, als junger Lord zu provozieren. Martina Schilling ist eine herzzerreißende Luise, erst verliebt in Wilhelm (wundervoll: Peter Diebschlag), dann in Lord Barrat. Insgesamt sind über zwanzig Rollen zu besetzen, was für das Dortmunder Ensemble aber kein Problem ist. Ganz ausgezeichnet agiert der Opern-Kinderchor der Chorakademie am Konzerthaus Dortmund (Einstudierung: Zeljo Davutovic), der sich ebenso sicher durch die schwierigen Klippen der Partitur bewegt wie der Opernchor des Hauses (Einstudierung: Granville Walker).

Jac van Steen organisiert am Pult der Dortmunder Philharmoniker ein wahres Feuerwerk an Orchesterfarben, bringt Henzes betriebsame Musik mitunter bis zum Siedepunkt. Eine durch und durch großartige Leistung! Der Funke springt unmittelbar über auf das Premierenpublikum. Das feiert die Sänger, den Dirigenten – und honoriert die Arbeit des Regieteams mit lautstarken „Bravi“. So viel (berechtigter) Jubel war im Dortmunder Opernhaus lange nicht mehr.

Christoph Schulte im Walde

 










 
Fotos: Schmidt/www.bildautor.de