Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

LOHENGRIN
(Richard Wagner)
6. Dezember 2009 (Premiere)

Theater Dortmund


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

„Es rettet uns kein höh’res Wesen“

Es ist ein Abend der pathetischen Bilder, der großen Gesten! Christine Mielitz geht es in ihrer extrem dichten Deutung des scheinbar durchdiskutierten Werks um die dramatisch zugespitzte Erkenntnis, dass Menschen in ihren fehlentwickelten Gesellschaften keine Rettung von außen erwarten können, dass sie sich vielmehr selbst befreien müssen aus den existenziellen Bedrängungen. Die begnadete Regisseurin zeigt eine über-ängstlich hilflose Elsa in ihrer utopischen Liebe zu einer virtuellen Gestalt, zeigt aber auch den Lohengrin in seiner martialischen Silber-Rüstung als offensichtlich archaisch nach erfüllter Liebe Suchenden. Ortrud und Telramund haben sich mit der Unmöglichkeit dieses Traums abgefunden, agieren nach den Regeln einer brutal formierten Gesellschaft – die auch den Hoffnungsträger Gottfried trampelnd überrennt. Mielitz erfindet zu diesem düster-hoffnungslosen Konzept bezwingende Bilder: eine schreckensstarre Elsa, einen hyperaktiven König, einen statuarischen Lohengrin - und die Personen mit ihrer Charakteristik in bezwingend intensiven Kontakten. Die „Gesellschaft“ - die in fest gefügten Blöcken kollektiv agierenden Brabanter in ihren unterschiedlichen Fraktionen, die dominierenden „Reichstruppen“, die anachronistischen „Radbodianer“ – weist jegliche individuelle Phantasiewelt gnadenlos ins bedrohliche Abseits.

Renate Schmitzers kunstvoll entwickelte Kostüme in variierendem Schwarz mit bewundernswerter Material-Kenntnis und entsprechenden optischen Effekten geben den Personen den imaginierenden approach.

Frank Fellmann baut eine bedrängende Bühne mit martialischen Wänden, beweglich als permanent wechselnde Räume der Ausweglosigkeit, einer Guernica-Wand als Metapher für die totale Bedrohung, Projektionen von bühnengroßen „romantischen“ Genre-Bildern. Der ineinander übergehende Kontrast wird zum optischen Eindruck verzweifelter Hoffnung(slosigkeit).

Das Dortmunder Sänger-Ensemble lässt sich konsequent auf das so komplexe Regie-Konzept ein: Susanne Schubert gibt der Elsa hingebungsvolle Statur, nuanciert ihren agilen Sopran zu bewegendem Ausdruck. Szilvia Ralik ist eine leidenschaftliche Ortrud, beeindruckt mit ihrem stimmstarken Mezzo – extrem in den nahezu ekstatischen Höhen, überzeugend in den „kommunikativen“ Passagen. Anton Keremidtchiev: ein Recht suchender Telramund, hoch ausdrucksvoll in seiner Wut, in seiner Verzweiflung, in seinem Kampf um „sein Recht“ – stimmlich von geradezu manischer „Wucht“! Stephan Klemm verbreitet als herrschender König Heinrich den überwältigenden Duktus seines elementaren Bass-Baritons. Simon Neal gibt dem Heerrufer eindrucksvollen Nachdruck. Marco Jentzsch geht mit ernsthaften Luftröhren-Probleme in die Aufführung, steht den ersten Akt vielversprechend durch, verabschiedet sich im zweiten Akt stimmlich – und wird von Charles King am Portal singend ersetzt: der macht seine Sache professionell-kompetent, vermag der großen Rolle interpretierende Kraft zu vermitteln.

Der Opernchor (Leitung: Granville Walker) agiert in kollektiver Kompaktheit, singt nachgerade „brausend“ und wird zum musikalisch mit-bestimmenden Element des ereignisreichen Abends!

Faszinierend, wie die Dortmunder Philharmoniker unter dem kommunikativen Jac van Steen innovative Hör-Erlebnisse interpretieren: Eine geradezu stimulierende Dynamik mit „schleichenden“ Crescendi, imaginativ gesetzten „Pausen“, Akzentuierung quasi-leitmotivischer Elemente, geradezu enthusiasmierenden Momenten musikalischer Differenzierung - und dazu ein perfektes Eingehen auf den so anspruchsvollen Gesang auf der Bühne. Eine Glanzleistung!

Wunderbar: Das riesige Dortmunder Opernhaus ist voll besetzt. Die Stimmung ist erwartungsvoll, die Atmosphäre dicht – kein Husten, kein Getuschel; intensiver Applaus nach den Akten.

Im aktuellen Dortmunder kommunalpolitischen Desaster – Wer mit wem? Wer gegen wen? Wer will was? Und: Warum geht Frau Mielitz Ende 2010? Wer wird Nachfolger? Und welche politische Konstellation bestimmt das? - versammelt sich auch die in sich verkeilte lokale „Polit-Prominenz“ im Opernhaus (von dem es unklar ist, wie es nach sensationell geschmacklosen innenarchitektonischen Korrekturen weitergeht). Buhs für das Regieteam kommen möglicherweise aus diesen beleidigten Reihen: Ähnelt Susanne Schuberts Elsa doch intensiv in Kleid, Frisur und Gestik unvermeidlich der Mielitz; lassen sich die brachial marschierenden Chöre mit ein wenig Phantasie als Anspielungen auf den bloß machtpolitischen Umgang mit der Stadt-Kultur verstehen. Und da rastet der eine oder andere sich erkannt fühlende Provinz-Macchiavelli schon mal aus. Wenn’s so wäre: Schlechte Aussichten für den „Gottfried“ – die chancenlose Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Franz R. Stuke










 
Fotos: © Thomas Jauk/Stage Picture