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Fakten zur Aufführung 

EINSTEIN
(Paul Dessau)
8. April 2006 (Premiere)

Theater Dortmund

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Dialektik eklektisch

Einstein von den Nazis verfolgt, im Exil Amerika brutal getäuscht, von der Friedensbewegung desillusioniert: Paul Dessaus Librettist schafft von 1950 bis zur Premiere 1974 (Ost-Berlin) ein Brechtsches Lehrstück zur epochalen Problematik Wissenschaft/Gewissen. Paul Dessaus Musik zitiert Bachs Fugen, ein wenig Mozart, viel Jazz, integriert Zwölfton-Passagen und gibt den Solo-Instrumenten wichtige Funktionen - intellektuell kalkuliert, dialektisch gebrochen in der Aussage.

Kirsten Dephoffs Bühneninstallation - ein offener riesiger "Käfig" mit variablen Elementen - mit einer Spielfläche um den Orchestergraben für die komischen Intermezzi und zeitbezogenen Kostümen lässt Raum für verfremdende Aktionen.

Mit kalkulierten Auftritten, wechselnden Nähen und Fernen, den Kontrasten zwischen Aggressionen und reflektierenden Szenen inszeniert Gregor Horres in konzentrierter Übereinstimmung mit der dialektisch-eklektischen Musik Dessaus. Die Intentionen des "Lehrstücks" lassen keine Gefühle aufkommen; es geht um die intellektuelle Verarbeitung theoretischer Konstrukte. Typische Anspielungen auf die Nazi-Diktatur, die US-McCarthy-Situation, die indifferent gezeichnete Hippy-Szene sind szenisch-optisch eindrucksvoll. Doch geraten Einsteins "Beratungen" mit Galilei, da Vinci und Bruno zu retardierendem Stillstand, ohne sinnstifftend zu animieren. Das quirlige Wirbeln des Hans Wurst im Zusammenspiel mit dem (Polizei-)Büffel und dem komisch-mordlustigen Krokodil ist werk-adäquate Realisierung von Dessau-Humor.

Oskar Hillebrandt verkörpert einen ambivalenten Einstein, der am Ende tiefresigniert den instrumentalisierbaren Möglichkeiten der Physik entsagt. Jeff Martin gibt einen zerrissenen jungen Physiker (ihm gelingen emotional-beeindruckende Szenen!) und Vidar Gunnarsson verkörpert einen affirmativ-angepassten alten Physiker. Das Dortmunder Ensemble (30 Rollen!) agiert höchst engagiert, beherrscht den Dessau-Sprechgesang mit hoher Perfektion und gibt den kühl-kalkulierten Typen soviel Charakter wie möglich.

Dirk Kaftan interpretiert mit den hellwachen Dortmunder Philharmonikern einen ungemein kontrastreichen Klang, der die politischen Intentionen Dessaus musikalisch intensiv umsetzt. Die Solisten - Cello, Trompete, Schlagzeug, Orgel - lassen exzellente Spielkultur hören.

Das Publikum folgt fast zwei Stunden lang hoch aufmerksam, kann sich allerdings keinen Reim auf den Stellenwert dieses sperrigen gesellschaftskritischen Werks im Dortmunder Spielplan machen, kennt nicht den Zusammenhang des Werks in seiner Entstehung mit den Kontroversen um das DDR-Musiktheater und ist irritiert durch das ungewohnte Musiktheater-Format im Stil abrupter "Schnitte". Doch die exzellente Präsentation und die nachvollziehbare Botschaft führen zu langanhaltender Zustimmung. (frs)