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Fakten zur Aufführung 

OTELLO
(Giuseppe Verdi)
6. Oktober 2010

Konzerthaus Dortmund


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Von Abgründen und zauberhaften Stimmen

Zunächst schien es ja, als stünde die konzertante Aufführung von Verdis Otello unter keinem guten Stern. Erst sagte Anja Harteros ihre Teilnahme als Desdemona ab, kurz vor der Aufführung erkrankte dann der für die Titelpartie vorgesehene Ben Heppner. So traurig das für die extra angereisten Fans dieser beiden Künstler waren, so entpuppte sich dann der Abend als Sternstunde für die Oper.
Unter der Leitung von Daniel Harding fesselte das Mahler Chamber Orchestra mit einer sehr ausgefeilten Darbietung von Verdis wohl schwärzester Oper. Daniel Harding zügelte Tempi und Volumen und vermied es, Verdis vielschichtige Partitur permanent unter Dampf zu setzen. Dadurch kamen so viele Kleinigkeiten zu Gehör, dass man unweigerlich einmal mehr ins Staunen und Schwärmen geriet angesichts des genialen Komponisten und der Klasse des Orchesters. Selten hat man die zarten Lyrismen sowie die Soli der Instrumenten (Cello, Klarinette!) so schwelgerisch, zugleich aber auch zärtlich gehört. Der zögerliche Beginn der Dialoge zwischen Otello und Jago im zweiten Akt hatte seine ganz eigene Färbung, unwillkürlich hörte man, wie sich die Eifersucht wie eine Schlange ganz langsam in Bewegung setzte, um Otello allmählich zu umschlingen. Die Synthese aus Musik und Boitos Text gelang bis in die leiseste Sechzehntel hinein. Durch diesen kammermusikalischen Ton erhielten die zornigen Ausbrüche, die dunklen Abgründe der Musik (Otellos Auftritt im vierten Akt, das Racheduett) ungeahnte, überwältigende Wirkung, die Jagos Intrige noch viel schlimmer machte.
Wieder anders im Klang: die großen feierlichen Tableaus im dritten Akt, wo die Ferntrompeten sich bei geöffneten Seitentüren hinter der Bühne positioniert hatten. Von der Empore aus fiel der WDR-Rundfunkchor Köln (Einstudierung David Marlow) mit einer Klanggewalt ein, die angesichts der vorigen leisen Töne wie ein Tsunami über den Zuhörern hereinbrach. Obwohl er mit knapp 60 Sängerinnen und Sängern nicht einmal groß aufgestellt war, reihte sich der Chor mit sauberer Diktion, ausgewogen im Piano sowie im Forte würdevoll in die Klasse der Solisten ein, was auch den kurzen Auftritt des Mädchenchors der Chorakademie am Konzerthaus Dortmund einschließt.
Das Ensemble erlebte man dermaßen geschlossen, dass es schwer werden dürfte, eine vergleichsweise homogene Besetzung hören zu können. Giovanni Guagliardo und Stanislav Shvets veredelten die kleinen Rollen Montano und Lodovico. Emanuele Giannino (Rodrigo) und die junge Christine Daletska (Emilia) verkörperten ihre kleinen Rollen mit großem Eifer, nutzten ihre wenigen stichwortartigen Einsätze, um sich größtmöglich zu profilieren. Als Cassio lies Alexey Dolgov mit angenehmem Timbre der gesund und voll klingenden Stimme aufhorchen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Tenor über den Cassio den internationalen Durchbruch schafft.
Als Motor des Geschehens erfüllte Franco Vassallo alle Wünsche: Seinen Jago gestaltete er fern des üblichen Brunnenvergifter-Klischees. Der in der Mittellage schön dunkel gefärbte Bariton wurde auch dem belanglosen Konversations-Ton gerecht, hatte zudem ein lockeres Parlando zu bieten. Im Trinklied begeisterte sein ungepresstes hohes A mit metallischem Strahl. Das Credo hatte dann wieder die Bösartigkeit, die den Jago in seiner Einsamkeit auszeichnet.
In dem Otello von Einspringer Franco Farina hatte er zudem keinen leichten Gegner. Dieser Otello klang zutiefst intelligent, die differenzierende Textbehandlung lies jeden noch so kleinen Einwurf deutlich werden. Deutlich animiert von der Leistung im Orchester war auch sein Otello nicht eindimensional laut. Vom Flüstern bis zum Schreien lotete er die Partie aus, gestaltete sehr viel aus dem Piano heraus. Einige sehr enge Höhen sowie einen leichten Einbruch im zweiten Akt muss man nur der Vollständigkeit halber anmerken.
Sein eindrucksvolles „Niun mi tema“ setzte einen passenden Schlusspunkt am Ende eines spannenden vierten Aktes, der wie ein Thriller die Zuhörer gefangen hielt. Denn auch Krassimira Stoyanova hatte mit ihrem „Lied von der Weide“ sowie dem „Ave Maria“ für einen traurigen Höhepunkt gesorgt. Aber auch das Liebesduett und ihr großes Solo im dritten Akt „A terra, si“ hatte die höchste bewegende Intensität. Die Bulgarin untermauerte ihren inoffiziellen Ruf als weltbeste Desdemona dieser Tage mit einer stupenden Leistung, die man nur mit Superlativen umschreiben mag. Dabei war ihr leuchtender Sopran, ihre Tragfähigkeit im Piano und ihr Ausdruck nicht mal der Gipfel ihrer Leistung. Noch mehr beeindruckte der natürliche Zauber ihrer Stimme, dem man sich nicht entziehen konnte. Stoyanova, die sich fern ab jeder Marketing-Strategie ihren Weltruhm erarbeitet hat, bewies einmal mehr, dass das eigene Ego erst nach der Musik und dem Ensemble kommt. Mit ihrer Technik brauchte sie keinen Vergleich mit vergangenen Tagen des Verdi-Gesangs scheuen. Ihr beseelter Gesang setzte den Kontrast zu den düsteren Tönen der Männerwelt, der sie am Ende zum Opfer fällt. Der Aufschrei des Orchesters, als Farina sie auf die schmale rote Liege niederdrückte, ging durch Mark und Bein.
Obwohl es nur eine konzertante Aufführung sein sollte, gingen die Sänger durchaus auch leicht szenisch zu Werke. Eine Inszenierung vermisste man bei dieser in jeder Hinsicht packenden Darstellung ohnehin kaum. Eine dezente Lichtregie sorgte für eine Unterstützung der Atmosphäre. Blitze, Donner und Kanonenschläge suggerierten Nähe zum Theater. So erschien es seltsam und auch inkonsequent, dass für Jagos Trinklied keine Gläser zu Verfügung standen und die Sänger diese in der hohlen Hand formen mussten.
Seltsam, wenn nicht sogar dreist war es auch, dass manche Zuschauer auch den mehrfachen Hinweis, ihr Handy zu kontrollieren, noch übersehen konnten (es klingelte natürlich im vierten Akt!). Auch die Tatsache, dass manche Zuschauer begannen, ihr Bonbon in der schönsten Piano-Phrase auszupacken (wobei nicht mal eine Minute vorher lautes Orchester-Getöse das nervige Knistergeräusch mühelos übertönt hätten), war schlichtweg ärgerlich.
Nach Otellos Tod herrschte allerdings lange Stille im Konzerthaus, bevor der Applaus aufbrandete. Noch während sich die ersten Nebenrollen verbeugten, erhoben sich die Zuschauer für Standing Ovations, der lautstarke Jubel gerade für die drei Hauptrollen und Daniel Harding erreichte bei Krassimira Stoyanova ihren berechtigen Höhepunkt.

Christoph Broermann

 







Fotos: Pascal Amos Rest