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Fakten zur Aufführung 

ORLANDO
(Georg Friedrich Händel)
16. April 2010 (Premiere)

Landestheater Detmold


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Wahnsinn im Wald

Zoroastro ist eine Art moderner Frankenstein, der den müden Krieger Orlando in eine Art Versuchsanordnung pfercht und an ihm Psycho-Experimente vornimmt. Testen will er die Auswirkungen von Liebe, Liebesentzug und Eifersucht unter Extrembedingungen.

Das ist der Ansatz, den Regisseurin Ute M. Engelhardt in ihrer Interpretation von Händels Orlando verfolgt. Und es ist ein Ansatz, der sicher interessant ist, aber in seiner Umsetzung nicht immer ganz die Spannung halten kann, die er eingangs verspricht. Das liegt zum einen sicher an Hinrich Horstkottes Bühnenbild. Zoroastros Versuchslabor ist nämlich ein herbstlicher - oder gar toter? - Wald mit kahlen Baumstämmen und rotbräunlichem Laub am Boden. Zudem ist alles ständig in leichte Nebelschwaden gehüllt. Das wirkt sehr kontrastlos und ermüdet die Augen. Auch bleiben einige Dinge unerklärt im Raum stehen, die Frage etwa, wie das Feldbett, auf dem allerlei sexuelle Aktivitäten angedeutet werden, in den Wald kommt, oder weshalb Zoroastros Hilfspersonal sämtlich Klone der von Orlando angebeteten Angelica sind. Doch das ist auch eigentlich nicht ganz so wichtig, denn im Grunde lebt Orlando von Händels Musik, die Handlung ist - mit Verlaub - eher krude.

Analog zur Musik gelingt Engelhardt gerade in Orlandos Wahnsinnsszene eine schöne Umsetzung: Da war sehr eindringlich zu erleben, wie Orlando, dieser Kriegsheld mit Rasta-Locken, völlig von Sinnen durch den Wald taumelt, dabei aus den Bäumen Blut tropft, das der Held für Tränen der Totengöttin Proserpina hält.

Und wenn dann noch in der Rolle des Orlando ein so großes Talent wie der junge Countertenor Benno Schachtner zu erleben ist, dann ist Oper ein großes Ereignis. Imponierend, wie der 25jährige Student mit seiner ersten Opernrolle umgeht. Man spürt vom ersten Moment an, dass er stimmlich und darstellerisch alles gibt. Er verfügt über eine schöne, ausgeglichene Stimme mit viel Kern und fantastischer Beweglichkeit. Die braucht er auch für die mitunter halsbrecherischen Koloraturen, die Händel seinerzeit für den legendären Senesino geschrieben hat. Schachtner geht sie mit Lockerheit und Risikobereitschaft an – das zahlt sich aus. Manchmal wird ihm der Atem etwas knapp. Kein Wunder angesichts dieser enormen Herausforderung. Dessen aber kann man sicher sein: Schachtner wird seinen Weg auf der Opernbühne machen.

Das gilt auch für Evelyn Krahe, die den Prinzen Medoro singt. Eigentlich sind die tiefen, rotgoldenen Altstimmen schon seit geraumer Zeit von der Bühne nahezu verschwunden. Doch in Detmold gibt es eben diese Evelyn Krahe, die dieses ganz typische Alt-Timbre exemplarisch erfahrbar macht und den bemerkenswerten Ambitus ihrer Rolle spielend bewältigt.

Catalina Bertucci als Angelica vermag sich im Laufe des Abends zu steigern und ließ den etwas nervösen Beginn durch blitzsaubere, perlende Koloraturen vergessen. Auch die am Premierenabend als stimmlich angeschlagen angekündigte Beate von Hahn überzeugte als Schäferin Dorinda voll und ganz.

Jörn E. Werner als Zoroastro gestaltete seine Rolle mit viel sonorer Kraft und üppigem Vibrato, schien sich geradezu für eine Verdi-Partie empfehlen zu wollen - verfehlte damit aber zielgenau die Ästhetik, der die übrigen Sängerinnen und Sänger folgten. Gesungen wird übrigens in Deutsch, die Übersetzung von Peter Brenner ist überaus sanglich und durchweg gelungen.

Das Orchester des Landestheaters erwies sich mit seinem Spiel als, wie man es inzwischen gern nennt, „historisch informiert“. Schlanker Klang, wenig Vibrato, sprechende Artikulation. Ansatzweise gelang es Dirigent Jörg Pitschmann, diese barocke Klanglichkeit entstehen zu lassen, offenbarte aber auch das andernorts immer wieder erfahrbare Dilemma „ganz normaler“ Opernorchester: sie spielen heute Mozart, morgen Verdi, übermorgen Henze und dann wieder Händel oder Purcell. Die Überzeugungskraft all der Produktionen von Barock-Spezialensembles, sei es auf CD, DVD oder live in etlichen Festspielen weltweit, wird da natürlich bei weitem nicht erreicht. Insofern wirkte der Detmolder Händel-Klang wenig ambitioniert und recht gleichförmig. Hinzu kamen allzu viele Patzer.

Das hinderte das Publikum nicht daran, alle Akteure begeistert und mit viel Applaus zu feiern. Das Detmolder Haus – dies ist immer wieder zu konstatieren – kann sich glücklich schätzen, ein Publikum zu haben, dass „sein Theater“ so toll unterstützt.

Thomas Hilgemeier

 









 
Fotos: Michael Hörnschemeyer