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Fakten zur Aufführung 

DIE HERMANNSSCHLACHT
(nach Christian Dietrich Grabbe)
5. Februar 2009 (Premiere)

Landestheater Detmold


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Spurensuche – nationale Mythen

Ein relativ marginaler „Mythos“ nationaler Stereotype bestimmt die so intensiv erwartete Premiere der Grabbeschen Hermannsschlacht (die erste mit viel Text des vom ideologisch-brutalen Nationalismus missbrauchten Chaos-Dramatikers) - der unausrottbare Husten-Zwang der Theater-Besucher. Wo sich viele Menschen ansonsten auf das Bühnengeschehen im Theater konzentrieren, da ist in Detmold das Interesse auf die möglichst Aufmerksamkeit evozierende Kunst des variantenreichen Hustens fokussiert – Mitleid heischend atemlos, knallig posaunend, rotzig-ordinär, selbstbewusst Präsenz dokumentierend, ungeniert privat - aber immer kunstvoll akustisch platziert: winzigste Pausen werden genussvoll genutzt, Piano-Passagen sind bevorzugte Zeitpunkte des kalkulierten Einsatzes, aber auch die Übertönung eher lautstarker Bühnen-Artikulation wird als animierende Herausforderung kampfbereit aufgenommen. All diesen Angriffen auf die Regeln der Theater-Kommunikation ist eins gemeinsam: Zum Austoben individuellen Leidens sucht man nicht etwaige Arzt-Praxen oder radonhaltige Höhlen auf, sondern nutzt die wehrlose Öffentlichkeit des Theaters. Und in Lippe-Detmold wird dieser nationale Kommunikations-Mythos regional fokussiert: Im Foyer liegen kleine Tüten mit Hustenbonbons aus, gestiftet von den Detmolder Apotheken. Doch sparsam wie die Lipper sind – sie verwahren die Husten-Stopper offenbar für den häuslichen Gebrauch!

Da steht eine Revue nationaler Klischees - reflektierend, persiflierend, kommentierend, konterkarierend – vor dem Problem, diesen real erlebbaren Mythos der Ignoranz zu übertreffen. Kay Metzger und Christian Katzschmann versammeln um die durchaus ironisierenden Grabbe-Texte Aussagen von Kästner, Tacitus, Heiner Müller, lippische Lieder, philosophische Reflexionen, politische Dokumente und wissenschaftliche Statements. Sie fabrizieren eine tour d’horizon durch die so martialische und kritisch distanzierte Geschichte des hoffnungslos verworrenen deutschen National-Mythos’, setzen musikalisch-karikierende Elemente, lassen nur wenige Aspekte des Jahrtausend-Prozesses mit immer wieder auftauchenden Verwerfungen aus. Doch: Das ist so heterogen, so unübersichtlich auch für den nicht-hustenden Beobachter, so wenig transparent und so verwirrend im Zusammentreffen der divergierenden Positionen, dass sich keine Identifizierung mit einer „Idee“, einem unwiderstehlichen „roten Faden“ einstellen will.

Felix Lemke intoniert mit Trommeln, Akkordeon, Klarinette, Flöten, Klavier, Gitarren und Synthesizer historisch-musikalische Highlights – ein Potpourri „deutscher“ Musik, vom Horst-Wessel-Lied bis zu „Lippe Detmold, eine wunderschöne Stadt“. Aber auch im musikalisch-findungsreichen Part wird kein Focus ersichtlich – es bleibt beim fast beliebigen Präsentieren wieder erkennbarer Themen.

Michael Engel stellt eine Schräge mit rückwärtiger Ab- und Aufgangstreppe als fast hermetischen „Kasten“ auf die Bühne.

Kay Metzger lässt die Protagonisten – das Schauspielensemble des Detmolder Theaters – im Wechsel von reduziert-aktiven Begegnungen der handelnden Personen und statisch-verhaltenen „Massenszenen“ agieren. Spannung entsteht nicht, eigentümliche Leblosigkeit bestimmt die drei Stunden historischer Rekapitulation – von Grabbes überwältigender Dramatik keine Spur.

Gesungen wird vom Ensemble durchaus stimmkräftig – doch gesprochen wird eher lapidar, teilweise die prononzierende Artikulation vernachlässigend, Einzelworte sinnstörend verschleifend, ganze Passagen im imitierten Wildgruber-Stil abgenuschelt. So bleibt die Text-Sammlung leblos undramatisch, so vermittelt der Abend sehr wenig an historischer Faszination, scheitert an Anspruch und Realisierung. (frs)

Points für Gesang und Sprache:

 




 
Fotos: Landestheater Detmold/ Hörnschemeyer/Worms