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Fakten zur Aufführung 

DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK
(Grigori Frid)
2. März 2008 (Premiere)

Landestheater Detmold


Points of Honor                      

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Der Mythos des Leidens

Grigori Frids aufs Wesentliche reduzierte „Monooper“ von 1969 ist immer noch das ultimative Musiktheater zur Menschheits-Katastrophe des Holocaust. Im Sinne Gordon Craigs werden die Ausschnitte aus dem Tagebuch der Anne Frank zum „positiven“ Mythos der leidenden Menschlichkeit, konterkarieren die verhängnisvollen Mythen von Herrschaft, Brutalität und gnadenlosem Schicksal.

Im intimen Detmolder Grabbe-Haus verleiht die jugendlich-naiv agierende Kirsten Höner zu Siederdissen der im Amsterdamer Versteck Tagebuch schreibenden Anne Frank authentischen Charakter. Die junge Sängerin beeindruckt durch intensiv nachempfundenes Spiel, emotional umgesetzte Mimik und Gestik - und vermag mit ihrer einfühlsamen Stimme kindliche Freude, quälende Ängste, „altkluge“ Weisheiten, mädchenhafte Liebes-Sehnsucht, traumhafte Erinnerungen, verzweifelte Todesahnungen ergreifend zu vermitteln.

Ulf Liebe und Michael Zehetner interpretieren die vielfältig gebrochene Frid-Musik mit zurückhaltender Prägnanz, akzentuieren die deutenden Dissonanzen, atonalen Harmonien und instrumentalen Experimente in großer Übereinstimmung mit dem erschütternden Tagebuch-Text.

Torsten Rauer stellt eine variable Schrank-Konstruktion zwischen funktionale Vorhänge, besteht auf ein irritierendes „Weiß“ als vorherrschende Farbe und stellt die Projektionsflächen für kommentierende Schwarz-Weiß-Videos von Felix Hüsken und Mirko Heilmann.

Ute M. Engelhardts Regie vernachlässigt die szenischen Möglichkeiten dieses Versteck-Symbols, führt einen chaplinesken Tanz mit einem Luftballon-Globus ein, vertraut offenbar nicht der dramatischen Kraft des unbefangen-wahren Textes und der elementaren Musik.

Am Schluss veranlasst ein durchaus strittiger coup de theatre – Anne reißt sich die Haare vom Kopf und sitzt kahlköpfig im Hemdchen auf einer Schaukel – zu einer langen Verzögerung des Applauses. Das winzige Auditorium ist nicht voll besetzt (die Detmolder Musikhochschule hat Semesterferien), aber die Resonanz ist intensiv, Nachdenklichkeit macht sich breit – auch bei den Leuten, die ihren Sitz mit Handschuhen oder Schals reserviert haben, um im Restaurant ihren latte macchiato zu konsumieren. Das wird bei weiteren Vorstellungen ganz anders sein: Der Respekt vor Anne Frank, dem Mythos des Leidens, der beeindruckenden Musiktheater-Kunst wird das Auditorium bestimmen. (frs)