Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

LOHENGRIN
(Richard Wagner)
3. Oktober 2009 (Premiere)

Anhaltisches Theater Dessau  


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Polit-Thriller im Pop-Zeitalter

Kein in Silberrüstung glänzender Ritter und Retter, stattdessen in Machtkämpfe verstrickte Politiker mit Laptop und Handy - die neue Leitung in Dessau wagt mit der Eröffnungspremiere des Lohengrin den Bruch mit der Vergangenheit der sogenannten werkgetreuen Wagner-Inszenierungen. Statt auf brabantischem Felde sind wir während eines Parteitages in einem halbrunden, leicht ansteigenden Kongress- oder Plenarsaal, die Delegierten dösen trotz der Übertragung der Redner auf eine Großbildleinwand vor sich hin, bis einer der Machtpolitiker (Telramund) massiven Streit vom Zaune bricht und die Gegenseite übelst beschuldigt. Der Präsident (König Heinrich) versucht zu beschwichtigen, auszugleichen, gibt sich aber dem ersehnten und wie durch Zauberhand des naiven Girlies Elsa plötzlich auftauchenden Retter Lohengrin geschlagen, der mit seinem inszenierten Einzug in den Saal die Massen nicht zuletzt dank seines Slap-Stick-Videos mit dem Schwan mitreißt. Die unbedarfte Elsa, die mehr aus Zufall denn aus Absicht in das Politikgetümmel geraten ist, himmelt ihren und des Landes Retter quotentauglich an - ein neuer Politstar ist geboren und wird mit Konfetti, Luftballons und den sich im Takt der Musik wiegenden, mit den Fingern schnippenden Delegierten enthusiastisch als Heilsbringer gefeiert. Dieses Konzept ist zwar nicht der traditionelle Lohengrin, aber es passt, es stülpt der Oper nicht etwas Fremdes über und zwängt es nicht in ein aufgesetztes neues Raster (wie zuletzt der Puppen- und Marionetten-Lohengrin von Stefan Herheim in Berlin oder Lohengrin als Zimmermann und Häuslebauer in der Regie von Richard Jones in München), sondern bleibt sehr nahe am Text, übersetzt ihn lediglich in moderne, heutige Bilder. Zum Schluss des ersten Aktes großer, einhelliger Beifall. 
Auch im zweiten Akt mit der dramatischen Auseinandersetzung und der Intrige des bösen Paares Ortrud und Telramund hat Regisseurin und Oberspielleiterin Andrea Moses der Handlung und den Darstellern alles sonst übliche opernhafte Pathos so weit wie möglich ausgetrieben. Gezeigt wird eher ein Polit-Thriller im Pop-Zeitalter, mit den dazu passenden emotionalen, auch überdrehten und für ein Massenpublikum inszenierten Höhepunkten. Beeindruckend die glänzende Personenregie, so die drastisch gezeigte Hörigkeit Telramunds gegenüber Ortrud, der nicht nur singende, sondern darstellerisch höchst präsente Chor, oder die anrührende Szene, als Elsa der vermeintlich verweinten Ortrud die Tränen aus dem Gesicht wischt und deren Make up wieder auffrischt. Als kleine sinnfällige Bühnenzauberei entpuppt sich das Hochzeitsbild (Bühne und Kostüme: Christian Wiehle), in dem sich ein übergroßes Kirchenfenster auf der Drehbühne zum Chorraum für die Trauungszeremonie wandelt. Als dann aber bei dieser für die bunten Blätter inszenierten Hochzeit im Blitzlichtgewitter Telramund seine neuen Anschuldigungen in einer Art Schwanen-Ballettröckchen über die Bühne tippelnd vorbringt, war das für manchen Zuschauer denn doch zuviel an Pop-Lustigkeit und hintergründiger Ironie. Neben erneutem Beifall auch deutliche Buhs zum Aktschluss.    
Der dritte Teil mit dem Brautgemach und der alles zunichte machenden Frage nach dem Woher des unbekannten Retters schließt sich mit präziser Personenführung zunächst nahtlos an - so ist etwa Elsa mehr in ihr Hochzeitskleid als in den großen Namenlosen verliebt, entzieht sich ihm, macht ihre Distanz deutlich - dann aber übernimmt sich die Regie mit ihren politischen Anspielungen. In einem wackligen Video erscheinen in undurchsichtigen Gängen und Zimmern Lohengrin und König Heinrich, es tauchen Koffer auf, Briefumschläge wechseln die Besitzer. Lohengrin vom König geschmiert, auch nur einer der windigen, bestechlichen Politiker, der Heilsbringer von Telramund entlarvt? Oder umgekehrt? Da bleibt zu viel unklar, hier überdreht die Inszenierung ihr Konzept, wird unglaubwürdig. Zu platt dann auch der Schluss, als sich die Menge nicht mehr locker zur Musik wiegt, sondern vor dem neuen Herrscher Gottfried und über dem regelrecht in der Versenkung verschwundenen Lohengrin im Gleichschritt paradiert. Buhgewitter.
Die Darsteller haben ausnahmslos bewundernswert agil gespielt, das war über weite Strecken eher gutes Schauspiel-Theater statt tradierte Opernkonvention mit Stand- und Spielbein. Am rollengerechtesten besetzt und voll überzeugend in Stimme und Spiel war der prägnante Heldenbariton des Telramund von Ulf Paulsen. Für seine Frau Ortrud besitzt Iordanka Derilova zwar einen machtvoll strömenden hochdramatischen Sopran, für diese Rolle aber müsste sie noch mehr in das tiefere, abgründigere und teuflische ihrer Stimme investieren. Der kraftvolle König Heinrich war bei Pavel Shmulevich in guten Händen, ebenso wie der Heerrufer bei Wiard Witholt. Bettine Kampp setzte das atypische Rollenkonzept eines kleinen verwirrten, naiven Mädchens, das sich plötzlich im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses findet und erst mit der Zeit zur eigenständigen Frau heranreift, gekonnt um. Ihr runder, voller, nicht allzu großer Sopran überzeugte vor allem in der Mittellage. Der Titelheld, Andrew Sritheran, verfügt über einen jugendlichen, baritonal gefärbten Heldentenor, der aber bei den mit der Lohengrin-Rolle verbundenen hohen Stimmlagen wohl doch überfordert ist und zum Ende hin auch einbrach. Dies ist nicht sein Stimmfach. Der Chor unter Helmut Sonne zeigte sich in seiner großen Partie bestens aufgelegt.   
Der neue Generalmusikdirektor Antony Hermus begann mit dem ersten Vorspiel etwas verhalten, übte mit der Anhaltischen Philharmonie auch eine dezente Zurückhaltung in der Sängerbegleitung und gewann erst im Laufe des Abends mit dem Orchester eigenständiges Profil. Das recht forsch genommene Vorspiel zum dritten Akt offenbarte allerdings auch Defizite im Orchester, das sich durchaus als ein traditionsreiches Wagner-Ensemble versteht, das auch schon als „Bayreuth des Nordens“  gefeiert wurde. 
Das erwartungsvoll gespannte Publikum feierte die musikalische Seite einhellig. Alle Sänger (der Lohengrin etwas weniger) wurden mit großem Beifall bedacht, ebenso das Orchester und der Dirigent. Beim Regieteam hielten sich Bravo-Beifall und Buh-Rufe in etwa die Waage. 
Axel Göritz    

 






 
Fotos: Theater Dessau