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APOKALYPSE
Es ist nicht die "böse" Prinzessin,
die das bunt-gemischte Volk in Kostümen der Zwanziger Jahre vor der Bühne
der Twin Towers ins Verderben führt: es ist der Höllenmeister mit seinem
unheilbringenden "Spielwerk", das zur "tötenden Freude" animiert. Rettung:
die Besinnung auf Verantwortung und Liebe. Friedrich Meyer-Oertel inszeniert
Schrekers Mysterium von Oh-Mensch-Pathos, Expressionismus, Freuds und
Reichs Sexualtheorien, kompositorischer Anlehnung an Verismo und Strauss
als moralische Philippika: die aggressive Spaß-Gesellschaft steuert auf
die Apokalypse zu, retten kann sich der naiv-ehrliche "Wanderbursche".
Das wird in einem instrumental-expressiven Bühnenbild von Heidrun Schmelzer
eindrucksvoll in Szene gesetzt: auf Ground Zero ist "der Spaß" am Ende
- doch bleibt Hoffnung: die Pieta von verstoßener Ehefrau mit ebenso verachtetem
Sohn und das liebende Paar Prinzessin/Wanderbursche weisen die Richtung.
Unter Stefan Blunier spielte das Orchester des Staatstheaters Darmstadt
ungemein präzise in den Instrumentengruppen, vorzugsweise die Flöten!
Das "Geheimnisvoll-Seelische" der Schreker-Musik wird zum kommunikativen
Erlebnis.
Ein hochkompetentes und -motiviertes Ensemble gestaltet die apokalyptische
Vision ohne Aplomb mit darstellerischer und stimmlicher Intensität. Elisabeth
Hornungs Rolle als leidend-aktive Graben-Liese gelingt ihr unpathetisch-überzeugend;
der Meister Florian Anton Keremidtchievs ist stimmlich sonor, verzichtet
auf unangemessene Effekte; Hubert Bischof ist als indifferent-spekulierender
Wolf ein grundsolider Bariton; mit Lena Nordin ist eine zerrissene Prinzessin
zu erleben, die Schrekers expressive Vorgaben zugleich melodisch und dissonant
eindrucksvoll vermittelt; der "Naturbursche" wird von John Pierce (in
Dortmund ein traumhaft-gelöster Tristan!) sehr einfühlsam dargestellt,
seine flexible Stimme beherrscht die Tessitura souverän und beeindruckt
mit klangschönem Legato. Weitere Solisten integrieren sich wandlungsfähig
ins schluchtenartige Ambiente und verbreiten äußerst dichte Totentanz-Atmosphäre.
Bei der zweiten Aufführung nach der Premiere ist das wunderbar-innovative
Haus trotz aller Tradition in Sachen "modernes Musiktheater" nicht voll
besetzt; doch die Anwesenden sind ein intensiver Partner der Bühne - atemlos
mitgehend, leidenschaftlich applaudierend. Doch fehlt dem kompetenten
Publikum in der Kulturstadt Darmstadt offenbar der aktuell-ästhetische
"thrill" der Produktion. (frs)
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