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Fakten zur Aufführung 

PARSIFAL
(Richard Wagner)
10. Februar 2008 (Premiere)

Staatstheater Darmstadt


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Aus überlegener Weltschau

Die Sache mit dem Glauben ist eine seltsame Geschichte. Was Richard Wagner über die geheimnisvolle Gralsuche als christliches Mysterienspiel im Naivling „Parsifal“ zentriert, der zum Heilsbringer mutiert, wirkt aus einer rationalen Distanz doch ziemlich merkwürdig. Doch John Dew, der einstige Regie-Provokateur lässt den Dingen ihren natürlichen Lauf, zeigt im ersten Aufzug eine Glaubensgemeinschaft im Selbstfindungsprozess, die sich an Kirchenvätern und Gründern orientiert: Augustinus, Hieronymus, Gregorius, Ambrosius heißen diese, die als Schriftmauer den Sakralraum abgrenzen. Dass der Buchstaben-Fries an Jugendstill-Design erinnert, darf als kleine Reverenz an Darmstadt gedeutet werden. Amfortas leidet im weißen Priestergewand, noch mehr als an seiner Wunde an sich selbst: Tito You singt diese Partie mit geschmeidiger Kraft und attraktivem Timbre. Auch Gurnemanz hat es schwer, denn als Sekretär des Ordens lastet die ganze Verantwortung auf seinen Schultern – Dimitry Ivashchenko zeigt ihn mit Intensität und durchwärmter Bassrundung.

Den zweiten Aufzug schildert Dew als Zerbrechen der Glaubensgemeinschaft, denn eine neue Zeit sorgt für Irritationen. Voltaire, Nietzsche, Marx und Spinoza heißen die Geister, die niemand rief, die aber Gesellschaft und Religion sezierend hinterfragen und die geordnete Welt destabilisieren. Auch sie begrenzen als Schriftband die Vorderbühne, während am übergroßen Kruzifix nicht mehr ein Menschenopfer hängt, sondern die Schlange symbolisiert das Weib an sich. Das heißt Kundry, und Yamina Maamar lockt mit Eros und einer schönen, ausgezeichnet geführten, die nicht die hochdramatischen Farben sucht, sondern auf ausgeglichene Grundschwingung baut.

Am Ende wird alles gut. Jetzt ist Reinheit gefragt, optisch quellfrisch als hinreißendes Lichtspiel vollzogen. Klingsor, den der im Gewand des späten 19. Jahrhunderts kostümierte Andreas Daum mit abgründiger Stabilität singt, fährt zur Hölle, und Kundry, geläutert, darf als Maria-Magdalena-Figur dem Erlöser Parsifal das Fußwerk salben: Norbert Schmittberg schenkt ihm die Züge des reinen Toren, sein Heldentenor indes wirkt phasenweise leicht mattiert. Im Schlussbild lässt John Dew Wagner als Schriftband sprechen: „Da wo die Religion künstlich wird, ist es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten“. Da hätte ihm gewiss mehr einfallen dürfen, als den verquasten Wagner-Aphorismus zu zitieren.

Musiziert wurde ausgezeichnet. Stefan Blunier am Pult und sein Staatsorchester Darmstadt wurden für die attraktive, in großen Bögen sehr konzentriert sich bewegende Wiedergabe gefeiert. Klangliches Raffinement und genau ausgesteuerte Zuspitzungen waren im Verein mit großen Chorszenen (André Weiss) glänzende Merkmale des Premierenabends.

Sehr viel Beifall, und nur ganz wenige, fast versteckte Buhs für Dew. Provokation ist beiderseitig nicht mehr angesagt, denn irgendwann macht jeder seinen Frieden. Zum Beispiel mit Richard Wagner und dessen qualmiger Erlösermystik. Altersweisheit? Nun soll dem Generalintendanten John Dew nicht zu nahe getreten werden, doch seine Sicht von Wagners „Parsifal“ atmet den Geist überlegener Weltschau und bezwingender Ästhetik. Im Verein mit einem perfekt austariertem Spiel mit Mythen und Figuren ergibt sich eine hoch artifizielle Bühnen-Schau. Die Szenen, die Dew mit seinem Team Heinz Balthes (perfekt gestylte Bühne) und José-Manuel Vázquez (geschmackvoll eingepasste Kostüme) entwickelt, faszinieren durch ihre Bildsprache und eindringliche Wirkung.

Eckhard Britsch

 

 






Fotos: Barbara Aumüller