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Fakten zur Aufführung 

OEDIPUS
(Carl Orff)
2. Dezember 2006 (Premiere)

Staatstheater Darmstadt

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Vom Mythos der Macht

Carl Orffs Oedipus wurde 1959 in Stuttgart uraufgeführt. In der Hölderlin-Übersetzung geht es inhaltlich um die Tragik der Wahrheitsfindung, musikalisch um die Suche nach adäquaten Formen von Gesang und Orchestrierung. Das Staatstheater Darmstadt ermöglicht eine aktuelle Begegnung mit dem in Vergessenheit geratenen Stück – zu weit entfernt von heutigen Tendenzen scheint die fast monolithische Kunstwelt Orffs, zu lang ist der Schatten seiner zumindest opportunistischen Vergangenheit, als dass ein unbefangener Umgang mit dem Werk möglich scheint.

John Dew entwickelt ein faszinierendes Konzept: da ist ein glanzvoller Herrscher, der alle Hinweise auf seine tragische Verstrickung mit Vehemenz von sich weist, alle Beteiligten der Intrige bezichtigt und am Ende unter der Wucht der Vergangenheit zusammenbricht. Auf der Bühne ist ein reduziertes Geschehen ganz im Vertrauen auf die antike Tradition mit ihren verdichteten Gesten und personellen Konstellationen zu erleben. John Dew beweist mit einem hochkonzentrierten und intensiv vorbereiteten Ensemble seine exorbitante Sensibilität für das assoziationsreiche Bühnenagieren von Menschen mit tiefsten Empfindungen.

Norbert Schmittberg ist als herrschend-zerbrechender Oedipus total identifiziert sowohl mit den antiken Wertvorstellungen als auch mit den exorbitanten sängerischen Herausforderungen der Orff-Partitur – in wahnsinniger Dynamik, im permanenten Lagenwechsel von Sprech-, Brust- und Kopfstimme, und das alles mit bestechender Textverständlichkeit!

Das gesamte Ensemble besticht durch hocheindrucksvollen, weit über Orffs Forderung nach deklamatorischem Gesang hinausgehenden stimmlichen Einsatz: Yamina Maamar gibt der Jokasta vokale Leidenschaft, Mark Adler ist ein beschwörender Tiresias und Andreas Daum verleiht dem Kreon ambivalenten Charakter. Dimitry Ivashchenko, Werner Volker Meyer, Markus Durst, Stefan Umhey und Hans-Joachim Porcher sind weitere tragende Repräsentanten eines hochartifiziellen, perfekt gelungenen Orff-Gesangs. Der Herrenchor des Staatstheaters Darmstadt (Leitung Andre Weiss) fungiert und artikuliert in vollendeter antiker Manier.

Stefan Blunier dirigiert ein bewundernswert präsentes Schlagzeug-Percussion- und Bläser-Orchester: hochperfekt ein den exaltierten Einsätzen, Instrumentengruppen fordernd präsentierend. Da erschüttern gewaltige Paukencluster das Haus, da schmettern Posaunen Alarm – da werden Orffs eher rudimentäre Vorstellungen zu akustischem Musiktheater von nie gehörter, schmerzlicher Intensität.

Heinz Balthes baut eine Theben-Palastwand, über die Bühne geneigt in triumphierendem Rot und Gold,verzichtet auf alle Accessoires und schafft einen Spielraum von archaischer Dimension. Mit den düster-grauen, antikisierenden Kostümen (Ausnahme Oedipus in strahlendem Gold) von Jose Manuel Vazquez ergibt sich mit dem Schwarz-Rot-Gold ein dezenter Hinweis auf die Gültigkeit der antiken Normen für unsere Zeit.

Das Darmstädter Publikum erlebt die fast zweieinhalb Stunden mit großer Anspannung und verstärkt permanent die Atmosphäre gebannten Kunst-Erlebens. Allerdings wurde eine knappe Formulierung des Inszenierungskonzepts und eine Einschätzung des Komponisten mit seinem diskussionswürdigen Lebensweg vermisst. Zwar marginal bei einem derart aufwühlenden Musiktheater-Abend mit authentischem philosophischen Tiefgang, aber als Kontrast erwähnenswert: Das Büfett legt mit einem neon-beleuchteten einsamen Bagel in der Glasvitrine keine kulinarische Ehre ein für das frisch restaurierte Haus! (frs)

 


Fotos: ©