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Fakten zur Aufführung 

LA JUIVE
(Fromental Halévy)
7. September 2008 (Premiere)

Staatstheater Darmstadt


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Zwischen Rachsucht und Pogromstimmung

Wir schreiben das Jahr 1415, Konzil von Konstanz. Jan Hus wird auf dem Scheiterhaufen enden, denn er hat Unerhörtes versucht, nämlich den so fein abgestimmten Machtakkord von Kirche und Staat reformatorisch aufzubrechen.

Wir schreiben das Jahr 2008, und John Dew inszeniert „La Juive“ (Die Jüdin) von Fromental Halévy am Hessischen Staatstheater Darmstadt. Dew hat diese Oper 1989 gemeinsam mit dem damaligen Chefdramaturgen Alexander Gruber in Bielefeld „ausgegraben“ und in einer phänomenalen Darstellung die Bühnentauglichkeit dieser „Grand Opéra“ nachgewiesen. Das als musikhistorisches Unikum verdrängte Stück gehört seither plötzlich zum Bestand des Repertoires und immer neuer Sichtweisen.

Es sind brüchige Biographien, die Halévy mit seinem Librettisten Eugène Scribe auf die Bühne stellt, wenn Menschen im Korsett einer brutalen Gesellschaftsordnung ihren Weg finden müssen. Der jüdische Goldschmied Eléazar hat einst ein christliches Mädchen aus den Flammen gerettet und zieht sie als Rachel im jüdischen Glauben auf. Doch sie war die Tochter des jetzigen Kardinals Brogni, der als Oberhaupt des Magistrats von Rom einst dafür gesorgt hatte, dass die beiden Söhne Eléazars verbrannt wurden. Rachel ist ein braves Mädchen, fest im Glauben, doch heimlich liebt sie den jüdischen Künstler Samuel, hinter dem sich der christliche Feldherr Léopold verbirgt, der wiederum mit Prinzessin Eudoxie liiert ist. Solch’ eine Konstellation kann nicht gut gehen, die Angelegenheit explodiert zwischen Rachsucht und hasserfüllten Verhaltensregeln, religiöser Verblendung und Pogromstimmung, individueller Seelenlandschaft und verhängnisvoller menschlicher Verkettung: Der Tod wartet auf Eléazar und Rachel.

John Dew hat die tragische Geschichte mit bestechender Klarheit erzählt, unterstützt von einer Bühne (Heinz Balthes), die von einer segmentierten, überdimensionalen Dreiecksfläche beherrscht wird, hinter der sich in der Düsternis der Aufmarsch von Schergen im GSG-9-Look oder Gesellschaft in Feststimmung mit Frack und Abendkleid (Kostüme: José-Manuel Vázquez) vollzieht. Später wird sich dieses Element, das erst als Projektionsfläche für ein gotisches Kirchenfenster im Schattenriss dient, mit einem anderen Dreieckssegel zum Hexagramm verschlingen, und am Ende kann eine dunkle Linie die Grenze zwischen Leben und Tod markieren. Diese Reduktion aufs Wesentliche treibt die Handlung immer intensiver zum Showdown, wenn Eléazar an der Schwelle des Todes seinem Widersacher Brogni eröffnet, dass die soeben geopferte Rachel dessen Tochter ist.

Martin Lukas Meister steuert mit dem Staatsorchester Darmstadt und dem Staatstheater-Chor zielgerichtet die Effektivität der Musik an, die zwischen atmosphärischer Verdeutlichung und explosiver Kraft außerordentliche Dinglichkeit beweist. Sängerische Größe zeigen die Protagonisten. Zurab Zurabishvili singt als Heldentenor mit Kraft-Wärme-Kopplung die seelische Gebrochenheit des Eléazar und bewältigt die mörderische Partie ohne Einbußen. Thomas Mehnert als Kardinal Brogni: Der seriöse Bass schöpft das Dilemma des machtbewussten Konzilspräsidenten, der zum verzweifelten Bettler um Wahrheit wird, in vielen Facetten aus. Wunderbar kontrastierend die beiden Frauen. Während Margaret Rose Koenn die Prinzessin als Luxusweibchen mit locker-glänzenden Koloraturen ausstattet, hat Susanne Serfling als Rachel mit lyrisch-dramatischer Sopranstimme einen großen Auftritt an Wahrhaftigkeit und seelischer Inbrunst. Mark Adler stellt mit seinem lyrischen Tenor als Reichsfürst Léopold einen zerbrechlichen Helden vor, der sich aus seinem Liebes-Zwiespalt nicht lösen kann. Oleksander Prytolyuk (Statthalter) und Werner Volker Meyer (Offizier) komplettieren das ausgezeichnete, hauseigene Ensemble.

Insgesamt ein Ereignis zum Saisonstart. Das Premierenpublikum war sehr zufrieden mit der Sichtung dieser Oper.

Eckhard Britsch