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Fakten zur Aufführung 

GUSTAVO III
(Giuseppe Verdi)
24. Januar 2004

(Premiere der deutschen Erstaufführung der Urfassung von "Un ballo in maschera")

Staatstheater Darmstadt

Points of Honor                      

Musik

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Unkontrollierte Gefühle

Liebe und Treue, Misstrauen und Loyalität, Vertrauen und Rachedurst, aber auch Mystik und Spaß treiben die dramatis personal in ausweglose Situationen. Anthony Pilavachi inszeniert schon zur Ouvertüre das hoffnungslose Ende einer Gesellschaft der unkontrollierten Gefühle, lässt aber ständig die Sehnsucht nach Emotionen leben - und trifft damit das Sentiment der Verdi-Musik.

Raoul Grüneis folgt mit dem ausgewogenen Orchester des Staatstheaters diesen Sentimenti, vermeidet knallige (Pseudo-)Verdi-Klischees, erzeugt berührende Passagen, gibt den Personen musikalisch Charakter.

Die Darmstädter Solisten greifen die Chance zur individuellen Profilierung ihrer Rollen allerdings eher zurückhaltend auf, verlassen sich doch lieber auf eingespielte Attitüden. Gesanglich bewegen sich alle auf gutem Niveau: Scott MacAllister hat eine schöne Stimme, doch fehlt seinem Tenor der strahlende Schmelz, Mary Anne Krugers Amelia ist eine visuelle Offenbarung, ihr weicher Sopran ist gut für die elegische Entsagung, etwas mehr dramatische Power sollte das Ziel ihrer weiteren Entwicklung sein, Anton Keremidtchiev ist ein statischer Ankastrom, wird als indisponiert angekündigt, bringt aber seinen legatoreichen Bariton achtenswert über die Zeit, Barbara Meszaros brilliert als Oscar, und Elisabeth Hornungs Ulrica lässt bei allem Wohlklang das Mystische vermissen. Beachtenswert der auf symbolische Aktion vorzüglich eingesellte Chor (Andre Weiss) mit vorzüglichem Gesamtausdruck.

Die eher kühle Bühne - Stufen, herabschwebende Elemente, keine Requisiten - von Piero Vinciguerra lässt Raum für das assoziationsreiche Gefühlsgeschehen, und die schwarz-roten Kostüme von Tatjana Ivschina verstärken die kommunikative Dichte der Inszenierung.

Die geräuschvoll angekündigte "Uraufführung der Urfassung" bietet allerdings für das Publikum wenig Überraschendes: dass Verdi aufgrund von Zensurbestimmungen das Stück mehrfach umgearbeitet hat, ist bekannt, dass die Verlagerung der Handlung nach Boston die praktizierte "Normal-Version" sei, geht aber wohl an der aktuellen Aufführungspraxis vorbei. Ich habe jedenfalls in den letzten zwanzig Jahren niemals Sam und Tom auf der Bühne erlebt oder "Addio diletta America" singen hören. O.K., musikhistorisch sicherlich von Bedeutung, aber ohne kommunikative Relevanz, vielleicht wäre es hilfreich gewesen, Synopsen von Libretto- und Partitur-Passagen der gängigen Aufführungen mit der Urfassung im Programmheft zu präsentieren!

Auch im Darmstädter Publikum sitzen sie: die Tempo-Sucher und geräuschvoll Nutzenden, die Husenbonbon-Knisterer, die Übertitel-Vorlesenden, die tuschelnd Kommentierenden und chaotisch Plätzesuchenden, doch ist das Wohlfühlen im kultivierten Publikum garantiert: große Aufmerksamkeit, spürbare inner Kommunikation, echte Begeisterung, abgestufte Zustimmung zu den Künstlern ohne arrogante Distanz - das alles gibt es nicht in jedem Haus zu erleben. Eben die "Kulturstadt" Darmstadt - vielleicht sollte das offenbar schlingernde Stadtmarketing es mit diesem "label" versuchen! (frs)




Fotos: © Cornelia Illius