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Fakten zur Aufführung 

GISEI - DE TEMPORUM FINE COMOEDIA
(Carl Orff)
30. Januar 2010 (Premiere)

Staatstheater Darmstadt


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Vom Ende der Zeiten

Ein Kreis schließt sich. Innerhalb der Carl Orff-Pflege am Staatstheater Darmstadt koppelte Intendant John Dew jetzt das bislang noch nicht aufgeführte Jugendwerk Gisei mit dem letzten Musikdrama De temporum fine comoedia - und siehe da, es wurde ein fulminanter Bühnenabend. Orff hat Vereinsamung, Schmerz, Schuld, Bedrohung, Ängste und Endzeitstimmung bis hin zu apokalyptischen Visionen thematisiert. In Gisei individualisiert er die traumatisierende Opferung eines Kindes als Kammerspiel nach einem japanischen Drama; in De temporum („Das Spiel vom Ende der Zeiten“) hingegen wird die schicksalhafte Geworfenheit des Menschen, seine Verdammnis und allenfalls zages Hoffen in grandiosen Chorszenen beschrieben.

Aus dieser dramaturgischen Zusammenstellung ergibt sich ein genialischer Kontrast, dessen Spannung streckenweise kaum auszuhalten ist, weil Regisseur John Dew mit seinem eingespielten Team Heinz Balthes (Bühne), José Manuel Vázquez (Kostüme) und Mei Hong Li (Choreographie) die Szene mit großem Ernst und der gereiften Kunst seines langen Bühnenlebens zum Kern des Seins führt. In Gisei gerät das Kind eines entmachteten Kanzlers in die Mühlen von Macht und Loyalität, die den Erwachsenen als Verhaltensraster diesen. Vor stilisierter Bühne - ein Paravent ist mit einer japanischer Kiefer bemalt, zwei Wandöffnungen rahmen den Steg ein, auf dem das Geschehen wie in Zeitlupe abläuft - wirken die Figuren erstarrt im Käfig ihrer Konventionen und Denkmuster.

Carl Orff hat in jugendlicher Suche nach dem eigenen Stil (der Komponist war damals gerade 18 Jahre jung!) mit Farben und Exotik gespielt, vielleicht auch nach Debussy geschielt und den verrätselten Schmerz seiner Figuren in einer eigenwilligen, identifizierbaren Tonsprache fokussiert, die von GMD Constantin Trinks am Pult des Staatsorchesters Darmstadt exzellent ausgeschöpft wurde. Die sängerischen Protagonisten Oleksandr Prytolyuk, Susanne Serfling, Andreas Daum, Anja Vincken, Sven Ehrke und Aki Hashimoto fügten sich darstellerisch wie sängerisch mustergültig ins Raster der Inszenierung ein.

Nach der intimen Dichte des Einakters Gisei kam mit De temporum fine comoedia der harte Gegenentwurf, denn Carl Orff illustriert die Endzeitstimmung über grandiose, archaische Chorszenen, die von der Regie in fulminanten Bewegungsabläufen geschichtet werden, um die Ratlosigkeit ob des kommenden Verderbens zu kommentieren. Zuerst künden „Die Sibyllen“ das Unheil, in braun-triste Tücher gehüllt; symbolische Fratzen tauchen auf, während dann „Die Anachoreten“ das Mysterienspiel aus frühchristlicher Sicht im Dunkel der Zeit verdinglichen; „Die letzten Menschen“ schließlich irren umher, schreien „Weh, das ist das Ende“ und versinken in höllischer Unterwelt; Apokalypse, wenn die Erde aus den Fugen gerät, die Sterne nicht mehr leuchten und die Sonne ihren Schein beendet. Dennoch bleibt ein letzter Rest an Hoffnung, dass sich der Herr ihrer erbarme. Großes vollbrachte er Chor in der Einstudierung von André Weiss. Thomas Mehnert war der Chorführer, Elisabeth Hornung und Lucian Krasznec realisierten die Gesangssoli.

Ein großer Abend des Musiktheaters; aufregend und bedrückend, mit stilisierter Symbolik aufgeladen und von beeindruckender Bildsprache getragen.

Eckhard Britsch

 








 
Fotos: Barbara Aumüller