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Fakten zur Aufführung 

BENZIN
(Emil Nikolaus von Reznicek)
28. November 2010 (Uraufführung)

Theater Chemnitz


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Schlichte Bebilderung

Luftschiffe begeistern immer wieder, wenngleich sie in ihrer modernen Wiedererstehung über die gelegentlich am Himmel kreisende Reklame-Zigarre nicht hinausgekommen sind. Ein großer Fan der Zeppeline war offenbar auch der österreichische Komponist Emil Nikolaus von Reznicek, Zeitgenosse von Gustav Mahler und Richard Strauss, der mit seiner Luftschiff-Oper unter dem prosaischen Titel Benzin eine Verknüpfung des antiken Mythos von Odysseus und Circe mit dem Zeitgeist der Zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts versuchte. 81 Jahre nach seiner Fertigstellung grub die Oper Chemnitz die im Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek fast vergessenen Noten wieder aus und brachte das „heiter-phantastische Spiel mit Musik“ zur Uraufführung.

Der Zeppelin-Kommandant Eisenhardt muss bei seinem Weltrekordflug um den Äquator auf einer mysteriösen Insel notlanden, da ihm der Treibstoff ausgegangen ist. Benzin gibt es hier zwar in rauen Mengen, dazu aber auch die zauberische reiche Lady Gladys, die Tochter eines amerikanischen Milliardärs. Alle männlichen Besucher ihres Inselreiches verwandelt sie durch Hypnosekünste in Tiere. Während ihr Trick bei der Luftschiff-Mannschaft in bewährter Manier funktioniert, scheitert sie am Kommandanten. In heißer Liebe zu Eisenhardt entbrannt, ist sie über seine Verweigerung so gekränkt, dass sie die zugesagte Benzin-Lieferung stoppen lässt und damit den fast schon sicheren Zeppelin-Weltrekord zum Scheitern verurteilt. Nach einem schein-dramatischen Finale mit einem ungeladenen Revolver entschweben die beiden dann aber doch gemeinsam in den sternenüberglänzten Luftschiff-Himmel.

Um die beiden Protagonisten herum versammelt Reznicek in seinem abstrus-absurden Stück ein reichhaltiges und verwicklungsfähiges Typen-Personal mit dem Inselverwalter Plumcake, Gladys Freundin Violet, dem Funker Machullke, dem Koch Obertupfer und Gladys Vater Thunderbolt.

Der Komponist, im Hauptberuf ein gefragter Dirigent, erzielte mit seiner Oper Donna Diana in jungen Jahren einen rauschenden Erfolg - heute kennt man davon allenfalls noch die kurze Wunschkonzert-Ouvertüre („Erkennen Sie die Melodie?“). Benzin, einige Jahrzehnte später (1929) fertig gestellt, als Reznicek gegenüber seinen „Konkurrenten“ Mahler und Strauss fast schon vergessen war, wollte damals kein Opernhaus aufführen, die ungedruckten Noten verblieben im Archiv. Das Problem des Werks mit seinem bildungsbürgerlichen Hintergrund ist der nur behauptete, aber nicht wirklich ausgeführte und begründete Verzauberungs-Handlungsstrang. Es bleibt eine verrückt absurde äußerliche Idee, die aber zum eigentlichen Innengeflecht des Geschehens mit seinem Geschlechterkampf und den Beziehungsverwirrungen nichts beiträgt. Auch der Zeppelin und sein Benzin-Mangel als Metapher für die Moderne und damit die Verbindung von Antiken- und Zeitoper bleibt letztlich uneingelöst und aufgesetzt.

Im Musikalischen changiert das Werk zwischen E- und U-Musik, zwischen Oper, Operette, Musical und einer Jazz-Band als Bühnenmusik, die zum Tango oder der „rhythmischen Strandgymnastik“ aufspielt. Nicht nur im Luftschiff-Matrosenchor vermeint man für einige Takte Richard Wagner zu hören, Richard Strauss klingt immer wieder an und Jacques Offenbach ist auch nicht ferne. Foxtrott, Tango und vor allem langsamer Walzer mit sanften, einschmeichelnden Streicherklängen gehören ebenso zum Repertoire wie Wiener Schrammel-Musik, Schuhplattler und Berliner Gassenhauer. Doch es sind meist nur einige Takte, zu denen sich die Musik auch zu dramatischen Konturen aufschwingt. Benzin ist ein heiter ironisches Konversationsstück, bei dem die eher dezente Musik der Textverständlichkeit nie im Wege steht.

Gesungen wurde auf angemessenem Niveau. Johanna Stojkovic wusste sich als Lady Gladys nicht nur szenisch, sondern mit ihrem dramatischen Sopran auch stimmlich durchzusetzen. Guibee Yang gab ihre koloraturenfeste Freundin Violet. Als Kommandant Eisenhardt war Carsten Süss mit seinem Charaktertenor rollengerecht besetzt, wenngleich ihm noch etwas mehr Beweglichkeit gut zu Gesicht stünde. Thomas Mäthger überzeugte als Verwalter Plumcake ebenso wie Kouta Räsänen mit seiner Stimmgewalt als Vater Thunderbolt. Die Robert-Schumann-Philharmonie unter ihrem Generalmusikdirektor Frank Beermann war mit ihrem locker-leichten, gleichwohl differenzierten Ton ein ausdrucksstarker Anwalt des Komponisten, was sich von der Regie nicht sagen lässt. Die hell ausgeleuchtete Bühne von Francis O'Connor mit ihren Sprit-Zapfsäulen im ersten und dem Bauhaus-Salon im zweiten Akt machte dabei noch durchaus Eindruck, ebenso wie die aufwendigen 20er-Jahre-Garderoben. Doch mehr war leider nicht. Die Inszenierung von Martin Duncan beschränkte sich auf eine direkte Eins zu Eins-Umsetzung der Handlung im gemäßigt modernen Musical-Stil. Das war stellenweise nett, auch mal lustig, aber weit unter dem Niveau des Aberwitzes und der Absurdität der Vorlage. Ironie, Persiflage oder auch nur etwas Pfeffer - Fehlanzeige. Man muss kein Anhänger des Regie-Theaters sein, um bei einem Werk, bei dem es um das knappe Benzin oder um die „Pflichterfüllung“ des Kommandanten geht, doch etwas mehr zu erwarten, als eine platte vordergründige Bebilderung der Handlung. So war es denn nur ein bieder harmloser Abend, eine verschenkte Chance für die Reputation Rezniceks.

Das Publikum im gut besetzten Chemnitzer Opernhaus ließ sich durch derlei Gedanken nicht anfechten, sondern feierte alle Beteiligten, einschließlich des Regie-Teams nach der rund zweistündigen Uraufführung mit kräftigem Beifall und Bravorufen.

Axel Göritz