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Fakten zur Aufführung 

WERTHER
(Jules Massenet)
9
. Dezember 2007
(Premiere: 4. Dezember 2007)


La Monnaie Brüssel


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Werther im Ungefähren und Ungenauen eines fiktiven Biedermeier

Auch die dritte Produktion der Brüsseler Monnaie Oper unter der neuen Direktion von Peter De Caluwe konnte (noch) nicht an den Perfektionsgrad der Ären Mortier oder Foccroulle anknüpfen. Nach der in der Anlage fragwürdigen Phaedra von Henze, als Koproduktion mit der Berliner Staatsoper, die jedoch in musikalischer Hinsicht eine Empfehlung Wert war, einem stilistisch und musikalisch unbefriedigenden, doch stimmlich gut besetzten Mitridate (Regie: Robert Carsen, Dirigat: Mark Wigglesworth) des jungen Mozart zeigt La Monnaie jetzt Massenets Werther alternierend in zwei Fassungen. Der Brüsseler Werther ist eine Reprise einer Produktion von Guy Joosten vom Wiener Klangbogen 2000 (Theater an der Wien) und war danach zweimal an der Königlich-Dänischen Oper in Stockholm zu sehen. In Brüssel wurde die Oper in einer neuen Besetzung einstudiert und wird alternierend in beiden französischen Fassungen gezeigt: in der 1892 in Genf uraufgeführten für Tenor und der späteren für Bariton (Warschau 1901). Auf der musikalischen Seite ist die Produktion schon ab der Ouvertüre exzellent. Kazushi Ono kann mit dem Symphonieorchester der Monnaie an eine Massenet-Tradition – man denke an die Einspielung der Manon mit Angela Gheorghiu und Roberto Alagna unter dem vormaligen Chefdirigenten Antonio Pappano (1999) – anknüpfen und führt das Orchester geschmeidig, flexibel und klangschön durch das lyrische Drama. Ono kostet die symphonischen Seiten der durchkomponierten Oper grandios aus und favorisiert dabei einen leichten, transparenten, fließenden, eleganten, auch dynamisch fein abgestuften Stil. Obwohl der Regisseur Guy Joosten vom Schauspiel kommt, leidet seine Werther-Inszenierung gerade an der 'Unwahrhaftigkeit' der Szene. Die Inszenierung läuft routiniert ab, es entwickelt sich kein emotionales Verhältnis der Charaktere zu- und untereinander, eine Binnenzeichnung der Personen scheint nicht einmal angestrebt worden zu sein – und das in einem Stück, das gerade (scheiternde) Beziehungsverhältnisse zum Thema hat. Schon die Nebenfiguren in den ersten beiden Akten (Amtmann: Gilles Cachemaille, Schmidt: Yves Saelens, Johann: Lionel Lhote) geraten ärgerlich grobschlächtig und tumb - ganz im Gegensatz zur Musik. Alkoholexzesse, aggressives Verhalten der Männerwelt gegen die weiblichen Protagonisten – Joosten deutet einen sexuellen Übergriffsversuch des Amtmanns auf seine Tochter Sophie an - beschreiben den inneren Zustand einer Welt, die nach strengen Regeln organisiert ist, emotionale Untiefen nicht zulässt, reflektiert oder klärt. Der Tenor Andrew Richards (Werther) ist als Sänger verführerisch, verfügt über die nötigen Reserven für die strapaziöse Rolle, ist als Schauspieler aber wenig kohärent und überzeugend: weiberheldig und wenig einfühlsam bedrängt er Charlotte. Seine Liebe ist ein blinder, unreflektierter Egoismus, von Empfindsamkeit und Melancholie keine Spur; schon von dieser Ausgangsbasis hätte eine Beziehung zu Charlotte wahrscheinlich nie den Ansatz einer Chance gehabt, von den bürgerlichen Verhältnissen mal ganz abgesehen. Sophie Koch als Charlotte ist die eigentliche Hauptrolle, die ihren inneren Konflikt und ihr Schwanken zwischen Pflicht, Erziehung, Gottesfürchtigkeit und Zuneigung zu Werther mit großer Präsenz gestaltet. Ihr eindrucksvoller, warmer und voller Mezzo ist differenziert eingesetzt, sie gestaltet die Charlotte zuerst verinnerlicht-distanziert, im dritten und vierten Akt gewinnt sie an Leidenschaft, die aber nie übersteigert ausagiert wird. Charlottes Schwester Sophie (Hendrickje Van Kerckhove) ist eher erkennende und verstehende Freundin als kleine Schwester. Jean-François Lapointe als Charlottes Gatte Albert scheint zuerst wahrhaft verliebt, füllt dann aber gleich nach der Heirat seine Rolle als machtausübender Ehegatte aus. Das Bühnenbild von Johannes Leiacker ist merkwürdig unentschieden: in einen abstrakten, mit großen weißen Kacheln gestalteten Umraum sind in eine Ecke Biedermeierelemente á la Spitzweg gesetzt, die die Szenen nicht besonders einfallsreich bebildern – es ist eben die Enge der angstbesetzten, gefängnishaften, kleinbürgerlich-tristen Verhältnisse. Erst im letzten, dem optisch überzeugendsten Akt agieren Werther und Charlotte im leeren abstrakten Raum. Erst in der Weite des klaren und kalten Raumes wird die vergebliche Liebe beider zueinander offen ausgesprochen; die Atmosphäre der Kälte liefert zugleich ein Bild des emotionalen Zustandes von Charlotte nach Werthers Ableben und für ihr weiteres Leben als Ehegattin des ihr entfremdeten Albert. Joostens Regie belässt Werther im Ungefähren und Ungenauen eines fiktiven Biedermeier. Eine durchaus mögliche Befragung des Stoffes auf die Aktualität hin, auf die Konflikte zwischen Bindung, eingegangenen Verpflichtungen und der Legitimität des Ausbruchs, auf Konflikte zwischen Pflicht und Neigung, die es selbstverständlich sowohl in modernen westlichen Gesellschaften mit hoher Scheidungsquote als auch in denen mit höherem Traditionsgehalt noch heute gibt, interessiert ihn nicht. Wen die Unzulänglichkeiten der Regie nicht stören oder wer nicht so genau hinschaut : musikalisch lohnt es sich allemal! Das Brüsseler Publikum dankte den Sängerinnen und Sängern und noch mehr dem Dirigenten Kazushi Ono mit dem Orchester der Monnaie mit langem, nicht enden wollenden und enthusiastischem Beifall. Die Besetzung der Baritonfassung unterscheidet sich in den Hauptrollen: Ludovic Tézier (Werther), Jennifer Larmore (Charlotte), Jean-Luc Chaignaud (Albert) und Hélène Guilmette (Sophie).
Dirk Ufermann






Fotos: Johan Jacobs