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Fakten zur Aufführung 

PHAEDRA
(Hans Werner Henze)
16. September 2007


La Monnaie Brüssel

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Als Auftragswerk der Deutschen Staatsoper Unter den Linden Berlin und der Belgischen Nationaloper in Brüssel (La Monnaie / De Munt) und desweiteren koproduziert mit den Wiener Festwochen und der Alten Oper Frankfurt/M. kam am 6. September 2007 in Berlin und im Anschluss in Brüssel Hans Werner Henzes neue Oper Phaedra zur Uraufführung. Henze, 81, arbeitete an dem Projekt seit Mitte 2004, immer unterbrochen von Phasen der Krankheit, der Genesung und des Ausruhens.

Von Anfang an stand fest, für welche Protagonisten die Oper geschrieben wurde: Der 'berühmten und wunderbaren Magdalena Kozená' ist die Titelrolle auf den Leib geschrieben, die Artemis singt der Countertenor Axel Köhler, als 'richtiger Kerl' spielt der 'wunderbare Tenor' John Mark Ainsley den Hippolyt.

Auch das Orchester stand fest: das vergleichsweise klein besetzte und auf Neue Musik spezialisierte Ensemble Modern aus Frankfurt - Henze schon durch eine Einspielung seines Requiems verbunden. Die Uraufführung fand jetzt jedoch in veränderter Konstellation statt: Magdalena Kozená musste aus Gesundheitsgründen die Mitwirkung absagen und ihre Teilnahme auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, Aufführungen in Wien und Frankfurt sind für 2008 geplant. Die Rolle der Phaedra (Mezzosopran) wurde alternierend von Maria Riccarda Wesseling und Natascha Petrinsky gesungen. In weiteren Rollen: Aphrodite (Sopran): Marlis Petersen und Minotaurus (Bassbariton), erst am Ende auftretend: Lauri Vasar.

Henze hat sich zeitlebens an der griechisch-römischen Mythologie abgearbeitet. Sein Hauptwerk für die Oper etwa, die Bassariden, hat wie jetzt Phaedra Euripides als Grundlage. Zusammen mit Henzes Librettisten, dem sächsischen Lyriker Christian Lehnert, hält er sich im ersten Akt recht getreu an diese Stofftradition, während er im zweiten Akt auf Ovid zurückgreift und damit die römische Fortschreibung griechischer Themen aufnimmt.

Der Inhalt: Phaedra verliebt sich in ihren Stiefsohn Hippolyt und wird von der Göttin Aphrodite darin unterstützt. Als Phaedra Hippolyt ihre Liebe gesteht, weist er sie brüsk ab. Phaedras Liebe schlägt in Hass um. Sie verleumdet den Stiefsohn bei ihrem Mann Theseus, indem sie angibt, Hippolyt habe sie vergewaltigt. Theseus beschließt, seinen Sohn mit Hilfe von Poseidon und Minotaurus zu töten. Phaedra erhängt sich. Der zweite Akt spielt am See von Nemi in Italien - gelegen ganz in der Nähe von Henzes Wohnsitz bei Rom. Hippolyt ist dank der ärztlichen Künste der Jagdgöttin Artemis wieder auferstanden, wird jedoch von ihr zuerst in einem Käfig, dann in einer Höhle festgehalten. Phaedra als Vogelwesen aus der Unterwelt und die Göttin Aphrodite verspotten den jetzt Virbius genannten Hippolyt und wollen ihn in die Unterwelt holen. Hippolyt ist verwirrt über seinen neuen Zustand, weiht der Artemis einen Hain und wird fortan als Waldgott verehrt. "Was war und was wird, verschwimmt in einem Tanz" - "Wir sind nackt geboren. Wir dringen zur Sterblichkeit vor und tanzen" heißt es im Schlussgesang.

Hans Werner Henze hat dazu eine wunderbare Musik geschrieben, klar, kraftvoll, dramatisch. Die Reduktion der Partitur auf ein kleines Orchester von etwa 25 Musikern bringt eine Durchsichtigkeit, Leichtigkeit und Agilität mit sich, die es in seinen letzten Werken nicht gab. Im Orchester dominieren Blasinstrumente, darunter viel Blech, dazu viel Schlagwerk, kaum Streicher. Als Einspielung im zweiten Akt, sicher eine Reminiszenz an die Sixties 'Bruitage' mit elektronisch verfremdeten Naturlauten, Gewitter, Sturm, Geräusche aus dem Operationsaal - eine riskante, aber gelungene kontrastive Einbindung in das Klanggewand der Instrumente. Michael Boder dirigiert das Ensemble Modern präzis und konzentriert. Das Solistenensemble mit Natascha Petrinsky in der Titelrolle ist sehr homogen, textdeutlich artikulierend meistert es die Tücken der Partitur sensationell souverän.

Henze hat sich - eine neue, flexibel einsetzbare Gattung definierend (Konzertoper) - die Phaedra-Aufführung so vorgestellt, dass Sänger und Kammerorchester zusammen auf der Bühne agieren: die Bühne ist das Konzertpodium. Die Regie von Peter Mussbach und das Bühnenbild des dänisch isländischen Bildhauers Olafur Eliasson weichen von dieser Idee radikal ab und bespielen in Berlin und Brüssel das Parkett und die Bühne. Das Ensemble Modern spielt hinten im Parkett direkt unter den Balkonen. Von hier aus gibt es einen langen Steg zum Bühnenraum, der als Spielfläche dient, während die Bühne weitgehend den (Licht-)Installationen Eliassons überlassen bleibt. Über lange Zeiträume hinweg ist der Bühnenraum durch einen spiegelnden Vorhang, der in anderen Szenen auch transparent werden kann und ein Spiel auf der Bühne zulässt, verschlossen und das Publikum sieht sich, die Solisten und das Orchester als Gegenüber. Als Kunstwerk an sich ist das Bühnenbild zweifellos von starkem Ehrgeiz und hohem Perfektionsgrad geprägt. Akustisch und auch szenisch hat das Arrangement jedoch ganz starke Nachteile. Der Orchesterklang verteilt sich nicht im Raum, auf den Balkonen ist der Höreindruck arg distanziert. Orchester und Stimmen mischen sich häufig nicht, es entsteht ein zerrissener Eindruck. Der erklärte Wille von Regie und Bühnenbild, neue Höreindrücke durch eine neue 'Hierarchie' zu schaffen, angelehnt an Luigi Nonos Prometeo, benötigt auch eine Partitur, die das kompositorisch vorsieht und in der Realisierung hergibt. Die Regie gibt sich wie das Bühnenbild eher abstrakt, versucht nicht Henzes gewünschte Grundstimmung - 'kretisch - maritim – urzeitig' - und die 'Zustände' der Personen zu evozieren, die Personenführung mit überzogen eckigen Bewegungen und an die 20er Jahre erinnernden Kostümen findet keine Rechtfertigung in der Musik. Die Inszenierung wirkt beziehungslos, Bühne und Drama finden nicht zu einer Einheit. Das Publikum nahm die Aufführung herzlich auf.

Im Berliner Wagenbach Verlag ist ein schönes "Werkbuch" zu Henzes neuer Oper erschienen. Es enthält ein Arbeitstagebuch des Komponisten zur Entstehungsgeschichte des Werkes, oft verknüpft mit sehr persönlichen und intimen Bekenntnissen zum Zustand des Alters und Krankseins. Die eingeflochtenen, fragmenthaften Erinnerungen an seine Kindheit in Westfalen sind sicher auch eine weitere Erscheinung dieses Alterns. Das Tagebuch gibt nicht so sehr Aufschluss über die inhaltlichen und strukturellen Fragen des Komponierens einer Oper, sondern beschreibt sie als Nachricht einer bestimmten, biografischen Situation. Neben Henze kommt auch sein Librettist Christian Lehnert mit einer Beschreibung der Entstehungsbedingungen zu Wort. Zwei Essays von Peter Petersen und David Cortés Santamarta versuchen eine erste Einordnung von Phaedra. Hans Werner Henze : Phaedra. Ein Werkbuch. Verlag Klaus Wagenbach Berlin, 2007, 13,90 Euro. (du)

 

 


Fotos: Johan Jacobs