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Fakten zur Aufführung 

HOUSE OF THE SLEEPING BEAUTIES
(Kris Defoort)
10. Mai 2009
(Uraufführung: 8. Mai 2009)

La Monnaie/De Munt Brüssel


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Der alte Mann und die schlafenden Schönen

Yasunari Kawabata (1899-1972), japanischer Literaturnobelpreisträger des Jahres 1968, ist ein Autor der Innerlichkeit. Bildreich, poetisch und sensualistisch beschreibt er innere Regungen und Beobachtungen als Reflexe der Außenwelt. Getragen ist sein Werk von einer lyrisch gefärbten Melancholie, ausgelöst durch das Bewusstsein für Verlust und Vergänglichklit jeglicher Schönheit im unerbittlichen Verlauf der Zeit. Der Roman Die schlafenden Schönen (1960/61), der der Oper House of the sleeping beauties zugrunde liegt, formt mit diesen Komponenten eine bizarre Handlung: Der alte Eguchi, 67, besucht auf eine Empfehlung hin ein merkwürdiges, geheimes Etablissement. An dem hotelartigen Ort kann er neben jungen Frauen nächtigen, sie anschauen, riechen, sich an sie anschmiegen. Die nackten Frauen sind mit Schlafmitteln betäubt und merken von alldem nichts. Sexuelle Handlungen sind hingegen nicht erlaubt, somit ist es auch eine Einübung in buddhistische Abstinenz und Gelassenheit. Der Kontrast von jung und schön mit der eigenen, fast abgelaufenen Biografie – „ Death is for old men; love is for the young“...., „ Old men are neighbors of the dead“ heißt es im Libretto - löst in Eguchi eine unablässige Welle der Reflexion, Erinnerungen, Gefühle, auch Aggression oder den geheimen Wunsch nach Regelübertretung, Weltabschiedsstimmung und Todesverlangen aus. Der handlungsarme Roman tendiert zu einem inneren Monolog mit exzessiven Beschreibungen. Eguchi besucht das Etablissement mehrere Male und jedes Mal wecken die wechselnden Mädchen Erinnerungen an seine Beziehungen zu Frauen - an Mutter, Ehefrau, Tochter und kurzfristige Bindungen. Ein Großteil des Textes spielt sich im Kopf dieses alten Mannes ab, dargestellt in seiner intimen und privaten Situation, letztlich in seiner Endlichkeit, einer späten Zerbrechlichkeit und Unsicherheit. Am Ende kommt es zu einer Komplikation: Ein Mädchen stirbt neben ihm offenbar an einer Überdosis des Schlafmittels. Eguchi bleibt verstört zurück.

Doch wie daraus eine Oper machen? Kris Defoort (*1959) hat zusammen mit dem Regisseur Guy Cassiers und der Dramaturgin Marianne van Kerkhoven aus dem stillen Roman ein komprimiertes, operntaugliches Libretto erstellt. Die Rolle Eguchis, in der Oper nur 'der alte Mann' genannt, ist aufgespalten. Seine Rolle ist formal verteilt auf einen Sänger (Omar Ebrahim, Bariton) und einen Schauspieler (Dirk Roofthooft). Die Frau, die das Hotel leitet, ist ebenfalls als Schauspielerin besetzt (Katelijne Verbeke), die schlafenden Schönen erscheinen als kommentierender, beschreibender vierstimmiger Chor (Susanne Duwe, Alice Foccroulle, Susanne Hawkins, Els Mondelaers), der minutiös Eguchis Wahrnehmungen, Handlungen, Regungen und Gefühle im Zusammenhang mit den schönen Mädchen aufdeckt, und als Tänzerin (Kaori Ito). Eine Sopranistin (Barbara Hannigan) evoziert in Rückblicken die Frauen, die in Eguchis Erinnerung auftauchen.

Die drei Akte der Kammeroper (Spielzeit 90 Minuten ohne Pause) sind alle ähnlich strukturiert. Defoort benennt sie inhaltlich auch als die drei Nächte. Der alte Mann trifft zuerst in der Besetzung des Schauspielers auf die Hotelleiterin im Vorzimmer. Es kommt zu informellen Gesprächen über die Rituale, Regeln des Hauses, man trinkt Tee, die Gespräche immer wunderbar textverständlich dargeboten und von leichter Klaviermusik untermalt. Erst wenn sich die Schiebetür öffnet und die 'schlafende Schöne' in Gestalt der Tänzerin Kaori Ito sichtbar wird, aktiviert sich der alte Mann in Gestalt des Baritons. Die Gesangswelt ist der Sphäre des Inneren vorbehalten, der Welt des Verborgenen, Intimen, Dunklen, der Fantasie, des Traums, während die Sprache der nüchternen Welt der organisierten Realität zugeordnet ist. Die Akte enden am Ende der Nacht wieder im Schauspielerischen.

Die Bühne (Enrico Bagnoli und Arjen Klerkx) ist zweigeteilt und karg gestaltet: vorn die Spielfläche des Empfangs, hinter einer großen Schiebetür, die auch als Projektionsfläche für Arjen Klerkx stimmungsvolle, langsame Videoprojektionen (Naturmotive, Regen, Frauenbildnisse, Adern) dient, das Schlafzimmer. In dessen oberen Teil, ein Geniestreich von Regie, Bühnenbild und des Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui, stellt Karo Ito in drei Choreografien schlafende Schöne vor, mehrheitlich frei schwebend in der Luft, sodass man die 'Schlafenden' in Aufsicht sehen kann. Auch die aufwändigen Kostüme Tim Van Steenbergens tragen an der hohen poetisch-stimmungsvollen Ausstrahlung der Inszenierung einen großen Anteil.

Das ASKO/Schönberg-Ensemble unter der umsichtigen musikalischen Leitung von Patrick Davin fand offenbar sogleich einen Zugang zu dem neuen Werk, so natürlich und selbstverständlich kam es zur Aufführung. Klangschön, subtil farbenreich, intensiv erklingt das 'synkretistische' Stück aus vielen Klangwelten mit Elementen des Barocks, des improvisierten Jazz, Anklängen an Gershwin und den Impressionismus, jedoch fast gänzlich ohne japonistisches Lokalkolorit. 22 Musiker bilden ein zeitgenössisches Kammermusikensemble bestehend aus zehn Saiteninstrumenten, Blasinstrumenten, Vibraphon, Marimba, Harfe und Klavier. Der regelmäßige dramaturgische Wechsel zwischen Schauspiel und Oper erscheint ganz harmonisch und natürlich. Die Solisten, der Minichor und die Tänzerin: allesamt vorzüglich. Fazit: House of the sleeping beauties in der Uraufführungspräsentation ist eine Kammeroper mit enormer Sogwirkung, suggestiv instrumentiert und kongenial multimedial in Szene gesetzt. Es ist mit seiner ruhigen Zeitstruktur und der reflexiv sensualistischen Einstellung erklärtermaen auch als Korrektiv zur schnelllebigen, lärmigen, bildüberfluteten Gegenwart gedacht: unbedingt ansehen!

House of the sleeping beauties geht, die praktischen Vorzüge einer Kammeroper nutzend, nach dem Brüsseler Uraufführungszyklus bis Oktober 2009 auf Tournee durch die Beneluxländer, darunter Luxemburg, Rotterdam, Antwerpen, Gent, Brügge, Utrecht, Breda, Groningen, Amsterdam, und nach Frankreich. Der genaue Tourneeplan findet sich hier:

http://www.toneelhuis.be/productie.jsp?id=189&p=speellijst

Dirk Ufermann

 




 
Fotos © Maarten Vanden Abeele