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Fakten zur Aufführung 

ELEKTRA
(Richard Strauss)
23. Januar 2010
(Premiere: 19. Januar 2010)

La Monnaie/De Munt Brüssel


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Elektra ohne scharfe Konturen

Die Brüsseler Elektra ist eine Koproduktion mit dem Barceloneser Gran Teatre del Liceu, wo sie in der vorletzten Spielzeit in fast gänzlich anderer Besetzung zu sehen war. Bereits die Vorgängerinszenierung von Núria Espert, Ezio Frigerio und Hans Zender 1988 beruhte auf einer Brüsseler/Barceloneser Liäson. Diese katalanisch-belgische Strauss-Tradition wird mit einer Salome fortgesetzt.

Die aktuelle Elektra wird in Brüssel in zwei Besetzungszyklen gegeben, in denen sich Evelyn Herlitzius und Nadine Secunde die Elektra, Doris Soffel und Natascha Petrinsky die Klytämnestra und Eva-Maria Westbroek und Annalena Persson die Chrysothemis teilen.

Es gibt nicht viele Opern, bei denen der Anfang so eminent die Richtung vorgibt, wie bei Richard Straussens Elektra. In der Eruption der ersten Takte muss sich die ganze dramatische und elektrisierende Kraft der Partitur zeigen, eine Kraft, die sich speist aus dem Entsetzlichen des bereits Geschehenen und die verweist auf die Extreme des Kommenden, auf den antriebsstarken Rachefuror der Elektra. Das Orchester der einaktigen Elektra ist eminenter Akteur des soghaft dramatischen Ablaufs. Doch das Dirigat des Monnaie-Novizen Lothar Koenigs, ehedem Kapellmeister des Beethovenorchesters Bonn und jetziger Music Director der Welsh National Opera in Cardiff, nimmt sich sonderbar zurückhaltend, fast harmlos aus. Es ist nicht so, dass er keinen Sinn für Strauss hätte, die Valeurs sind klangschön und nuanciert herausgearbeitet, Lyrismus und Transparenz sowie eine sängerfreundliche Zurücknahme sind die Leitlinien seines Dirigats, Anklänge an den Rosenkavalier sind hörbar - aber das Gewaltige, Elementarheftige und Skandalöse der Partitur, wie man es etwa von Solti oder Barenboim gewöhnt ist, vermittelt sich in seiner Herangehensweise nicht.

Die Inszenierung von Guy Joosten, die mehr bebildert als interpretiert, fügt der Interpretationsgeschichte der Elektra keine wesentlichen Aspekte hinzu. Der Handlungsablauf ist mehr oder weniger plausibel, wirkungsvoll und funktional, aber nicht unbedingt zwingend und vor allem nicht innovativ gestaltet. Wie bei Espert gibt es leichte, aber nicht näher bestimmte Allusionen an die Faschismen der 30er/40er Jahre: Uniformen und Wachtürme sorgen für eine von Aggression und Gewalt bestimmte Grundierung der Szene. Die Mägde trifft man gleich zu Anfang in einer mit Metallspinden ausgestatteten Umkleidekabine an, wo sie sich streitbar mir ihren Uniformen bekleiden, sich mit Maschinenpistolen bewaffnen, auf die sie erst mit der Nachricht von Orests Tod verzichten. Drei Mägde agieren als Krankenschwestern, die Klytämnestra in ihren schlechten Tagen und Nächten umsorgen. Der Bühnen- und Kostümbildner Patrick Kinmonth siedelt das Geschehen in einer unwirtlichen Vorhalle mit Stahlfässern an, ein Aufgang führt, wie man erst im Schlussbild sieht, zu einer großen, vornehmen Halle im Pseudoklassizismusstil.

Eher pauschal auch die Personenführung und Rollengestaltung, selbst in Kernmomenten wie die Wiedererkennungsszene der Geschwister Orest und Elektra. Elektra: Nadine Secunde, beeindruckend expressiv, voluminös und stimmkräftig, aber mit merklichen Schwächen in den Höhen und nicht immer wortverständlich, ist mehr berechnender Racheengel, düster brütend und in sich gekehrt, als eine Hysterikerin der Rache - und mit dem Beil, einem ihrer wenigen Besitztümer, eigentlich etwas unterbewaffnet im Kreis der Soldateska der Mädge. Annalena Perrson ist kontrastierend eine sehr feminine, immer bedrückt und eingeschüchtert wirkende Schwester; sie singt die Rolle der Chrysothemis intensiv und makellos. Herausragend Natascha Petrinsky in ihrem Rollendebut als Klytämnestra. Gewandet im Stil einer Diva, gestaltet Petrinsky die Figur mit großer Expression und Präsenz, schauspielerisch präzis, zeichnet sie den seelisch zerrütteten, alptraumgesättigten Ausnahmezustand und das deragierte Mutter-Tochterverhältnis, bis sie, als sie die Nachricht von Orests angeblichen Tod erhält, immerhin ihr Sohn, in einen hämischen Triumpf über Elektra ausbricht. Die weitere Besetzung ist durchweg gut, aber nicht herausragend. Donald Kaasch überzeichnet den Ägisth ins Lächerlich-dekadente, Gerd Grochowski ist ein sehr weicher Orest. In den Rollen der Mägde, angeführt von Renate Behle als Aufseherin: Graciela Araya, Mireille Capelle, Carole Wilson, Lisa Houben und Anna Gabler. In den Nebenrollen der Diener Alexandre Kravets und Franz Mazura (!). Das Finale: Elektra stirbt nicht in einem ekstatischen Schlusstanz, sondern in den Armen des Orest hinter einem Leichenberg in der Halle im upper floor.

Zurückhaltend positive Aufnahme in der voll besetzten Nationaloper.

Dirk Ufermann

 





Fotos: La Monnaie