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Fakten zur Aufführung 

LA CALISTO
(Francesco Cavalli)
22. FGebruar 2009
(Premiere der WA: 17. Februar 2009)

La Monnaie/De Munt Brüssel


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La Calisto – Herbert Wernickes Cavalli-Inszenierung nach 16 Jahren

Es gehört nicht eben zu den Selbstverständlichkeiten im Opernbetrieb, dass ein Opernhaus eine Inszenierung von 1993, die bereits 1996 eine Reprise erlebt hatte und auch in Berlin, Barcelona, Lyon, Montpellier und Wien gezeigt wurde, noch einmal in den Spielplan aufnimmt - noch dazu, wenn ihr Regisseur bereits verstorben ist. Doch bei Francesco Cavallis La Calisto in der Regie von Herbert Wernicke (1946-2002) handelt es sich um etwas ganz außerordentlich Besonderes. Die Inszenierung von Wernicke, die in dieser Wiederaufnahme von seiner damaligen Assistentin Dagmar Pischel kongenial wiedereinstudiert und in ihrer zeitlosen Schönheit wieder zum Leben erweckt wurde, zeichnet sich durch eine ganz enge Verbindung von Bühnenbild und Inszenierung aus. Der Bühnenraum – Wernicke war ja immer Regisseur und Bühnen- und Kostümbildner in einem – ist an allen Seiten kastenförmig geschlossen gestaltet und ausgemalt mit allegorischen Figuren, die den Himmel und die Sternbilder sowie griechisch-römische Mythen darstellen. Das Vorbild ist eine Deckengestaltung eines Saales des Palazzo Farnese in Caprarola (Latium) aus der Zeit der späten italienischen Renaissance, entstanden etwa 80 Jahre vor La Calisto (1651). Allein oben links im Mittelteil ist ein Detail, eine Figur ausgespart. Trotz der Kastenform ist die Konstruktion überraschend funktional und phantasiereich und verfügt über alle Tricks einer barocken Theatermaschinerie. Unsichtbare Türen und Fenster ermöglichen ungeahnte Auf- und Abtritte des Personals. Die Götter – Jupiter und Juno - schweben ganz selbstverständlich würdevoll vom Himmel herab und wieder hinauf, während die Erdenbewohner im Bühnenuntergrund verschwinden können. In dieser konzentrierten räumlichen Fokussierung entsteht dann ein atmosphärisches Spiel von schwereloser Leichtigkeit und Ironie hinsichtlich der erotischen Verwirrungen, verknüpft mit einem tiefen Ernst für das Personal, das die Cavalli-typische Verbindung des Komischen mit dem Ernsten mit großer Faszinationskraft verströmt.

Die Ovid entlehnte Geschichte ist ganz verkürzt folgende: Die Nymphe La Calisto aus dem Gefolge der Jagdgöttin Diana wird begehrt von Jupiter, dem sie sich aber keusch verweigert. Merkur verfügt über die Lösung und rät Jupiter, sich La Calisto in der Gestalt der Diana zu nähern. Der Trick funktioniert und beide finden großen Gefallen aneinander. Verärgert ist hingegen Diana selber und natürlich Jupiters Gemahlin Juno, die La Calisto aus Rache in eine Bärin verwandelt. Am Ende nimmt Jupiter La Calisto in den Himmel auf.

Die Figuren der Inszenierung sind ganz prachtvoll im Stil der italienischen Comedia gewandet. Die Geschichte wird von Wernicke zwar ganz natürlich erzählt, zugleich aber mit dem Wissen, dass es eine menschlich erdachte Story ist, auch ironisch gebrochen - es herrscht quasi ein ernster Unernst. Ab und an wird es auch ganz derb, etwa bei dem harlekinesken Satirino (überaus inspiriert: Max Emanuel Cenčić), der sich in vulgärer Graffiti austobt. Alle Beteiligten, mit Ausnahme von Lawrence Zazzo (als hypermelancholischer Endimione), in Rollendebuts, agieren ungemein spielfreudig, energiegeladen und reagieren mit großer komödiantischer Lust auf den prallen Stoff, sodass die mehr als drei Stunden wie im Fluge vergehen. Das Sängerteam ist komplett verjüngt: Sophie Karthäuser singt La Calisto - ein Rollendebut, das sie empfindsam, jugendlich und eindringlich auf die Bühne bringt. Sie verfügt über ein klares, reines, strahlendes Timbre, dem nicht nur Jupiter sofort erliegt. Johannes Weisser, als Bassbariton Jupiter und als Countertenor Diana, gelingt der Wechsel von High und Low, triebgesteuerter Lebensgier und göttlicher Abgeklärtheit auch stimmlich bravourös. Auf hohem Niveau auch das weitere Team: Georg Nigl als Mercurio, Caitlin Hulcup (Diana/Destino), Thomas Walker als Linfea, Magnus Staveland (Pan/Natura), Angélique Noldus (Furia), Konstantin Wolff (Silvano) und Inga Kalna (Juno).

Eine Konstante über die anderhalb Dekaden hinweg bildet das Dirigat von René Jacobs. Jacobs, der die Partitur für die Aufführung nach dem Autograph eingerichtet hat, dirigiert „sein“ Concerto Vocale, damit ein Orchester, das sich der historisierenden Spielweise auf Orginalinstrumenten bedient. Es gibt kleinere Neujustierungen in der Instrumentierung, die drei Cembali für die Continuo-Begleitung wurden auf zwei reduziert, im Prinzip erfolgte aber keine Revision. Das Orchester agiert nach wie vor dynamisch, klingt voll, farbenreich, fast opulent. Wenn die Erinnerung nicht täuscht, ist Jacobs Sichtweise auf die Partitur im Laufe der Jahre etwas abgeklärter geworden, die Tempi sind partiell langsamer.

Das Ende ist ein wahrhaftiger Coup de théâtre. Nachdem La Calisto mit Jupiter in den Himmel gefahren ist und die Oper eigentlich zu Ende ist, gibt es zu dem orchestralen Nachspiel einen Bühnentrick, der immer aufs Neue fasziniert. Das Licht wird abgedunkelt, die Sterne fangen an zu strahlen und ein Stück des vorderen Bühnenbodens – das wie eine Laubsägearbeit wirkt, die die Form eines Bären hat - hebt sich vom Boden ab, richtet sich auf und 'schwebt' dank der perfekten Bühnenmechanik diagonal durch den Bühnenraum um sich passgenau in die Lücke in der hinteren oberen Bühnenwand einzufügen: La Calisto nimmt in Gestalt des großen Bären Platz am Firmament, direkt neben Jupiter - ein ganz berückender, poetischer Moment.

Der Ovationen war kein Ende: Ein riesenhafter und nicht enden wollender Jubel für das ganze Ensemble mit Extra-Ovationen für Sophie Karthäuser und René Jacobs und - ganz selten – auch für das Technikteam, das die ausgeklügelte Bühnentechnik steuerte.

Dirk Ufermann

 








 
Fotos: Johan Jacobs