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Fakten zur Aufführung 

DER ROSENKAVALIER
(Richard Strauss)
26. September 2010 (Premiere)

Theater am Goetheplatz Bremen

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Von Menschen, die immer mehr haben wollen

Am 26. September 1910 schloss Richard Strauss die Komposition des Rosenkavaliers ab. Genau 100 Jahre später eröffnete jetzt das Bremer Theater seine neue Saison mit dem wohl berühmtesten Bühnenwerk des Künstlerpaars Strauss/Hofmannsthal. Regisseur Tobias Kratzer, Jahrgang 1980, greift die Entstehungsgeschichte des Werks in seiner Inszenierung auf und setzt sich kritisch damit auseinander. In seinen Erläuterungen im Programmheft ist zu lesen, er habe bei der Durchsicht des Briefwechsels zwischen Strauss und Hofmannsthal vor allem den kommerziellen Aspekt wahrgenommen. Sicher, Strauss war immer sehr darauf bedacht, dass seine Werke und die Aufführungen auch finanziell ihren Erfolg haben. Kratzer konzentriert sich darauf, dass beide Künstler den Rosenkavalier vor allem als erfolgversprechendes Produkt mit entsprechender Vermarktung gesehen haben. Man kann den Briefwechsel so lesen, es gibt ebenso gute Argumente, es eben nicht in dieser Form zu tun. Die Konsequenz für den Regienansatz ist eine Lesart als „Kommentar zur Geschichte kommerzieller Glücksversprechungen“, die genauso individuelles Konsumverhalten in den Blick nimmt wie eine allgemeine Kritik am Kapitalismus.
Das Publikum findet auf der Bühne die Warenwelt eines Kaufhauses im Wandel der Zeiten – im ersten Akt um die Jahrhundertwende, im zweiten in den 50er Jahren und im Schlussakt heute. Darin bewegen sich die Figuren mehr oder weniger als Teil der realen Geschichte, teils als allegorische Überhöhungen. Im Einzelnen führt das zu äußerst gelungenen Szenen, wie im ersten Akt etwa die Antichambres bei der Marschallin und ihr Monolog über die Zeit. Auch im zweiten Akt mit Octavian als James-Dean-Verschnitt, Sophie als frechem Girlie und der Jungfer Leitmetzerin, die nebenher eine Art Tupper-Party – Bühne und Kostüme sind überwiegend sehr liebevoll von Rainer Sellmaier entworfen – veranstaltet, bringt die Regie Aspekte der Figuren an den Tag, die auch intime Kenner des Stücks zu langem Nachdenken über gewohnte Sichtweisen und deren Berechtigung bringen dürften. Im dritten Akt, wenn alle Zeichen auf Totalausverkauf stehen, an denen zahlreiche Prozentzeichen und Sale-Schilder gemahnen, dann gerät dieses Konzept doch ein wenig aus den Fugen. Zumal dann auch die leichte optische Verkommenheit der Protagonisten nicht recht einzuleuchten vermag.
Tobias Kratzer liefert insgesamt eine zwar nicht bis ins letzte Detail schlüssige Lesart, macht aber doch mit der Art und Weise, wie er sich einem solchen Stoff nähert, Lust, seine weitere Entwicklung zu verfolgen.
Musikalisch gerät der Abend zu einem verdienten, großen Erfolg für das Bremer Haus. Generalmusikdirektor Markus Poschner hat anfängliche Wackligkeiten und Unsauberkeiten vor allem in den Geigen rasch unter Kontrolle und geht Strauss’ Partitur schlank, strukturiert und geradeheraus an, ohne allzu sehr in süßen Klangwogen zu schweben. Die stellen sich eh ein, Strauss hat sie schließlich komponiert, und Poschners Dirigat kommt den Sängern bestens entgegen. Er versteht es nämlich ganz ausgezeichnet, sein Ensemble zu begleiten, ohne die Üppigkeit der Partitur dabei zu vernachlässigen.
Kelly Cae Hogan gibt ein eindrucksvolles stimmliches Porträt der Marschallin. Es ist Geschmackssache, ob der offene, teilweise auch blanke Klang ihres Soprans dem Ideal der Rolle entspricht, und einige Vokale könnten noch etwas runder geformt sein. Das zwischen Pflicht, Schwärmerei und Resignation schwankende Gemüt der Marschallin vermag sie jedenfalls sehr anrührend in Töne umzusetzen.
Als wahres Juwel des Bremer Ensembles entpuppte sich an diesem Premierenabend Nadja Stefanoff in der Titelpartie. Ein sicher geführter, kernig timbrierter und gut fokussierter Mezzo ist da zu hören. Zudem ist sie durch ihre hochgewachsene, schlanke Gestalt auch optisch eine Idealbesetzung. Sara Hershkowitz steht dem mit ihrem feinen Sopran, klarer Diktion und lupenreiner Intonation als souveräne Sophie in nichts nach.
Ebenfalls eine Entdeckung ist Rúni Brattaberg als Ochs. Der von den Faröer Inseln stammende Bass singt und spielt die Rolle mit seinem prachtvollen, lediglich in den hohen Lagen manchmal noch etwas angestrengtem Bass wie selbstverständlich. Nicht den polternden Haudegen stellt er dar, lässt der Figur vielmehr noch das letzte Quäntchen Adligkeit und Noblesse – schließlich ist Ochs ein Baron –, was der Rolle gut bekommt. Sehr hervorzuheben ist seine absolut souveräne Aneignung des typisch wienerischen Tonfalls, ganz dezent, ohne Übertreibung. George Stevens gibt mit seinem noblen Bariton den Faninal.
Aus dem Ensemble kleiner und kleinster Partien bleiben vor allem Barbara Buffy und Christian-Andreas Engelhardt als Intrigantenpaar und Steffi Lehmann als Jungfer Marianne im Gedächtnis.
Mit kurzem, aber begeistertem Beifall feierte das Bremer Publikum das Ensemble und Markus Poschner. Das Regieteam wurde ebenfalls sehr freundlich empfangen, obwohl die Stimmen, die während und nach der Vorstellung aus dem Kreis der Zuhörer zu vernehmen waren, ganz anders klangen.

Christian Schütte

 









 
Fotos: Theater Bremen