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Fakten zur Aufführung 

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)
30. September 2005
(Premiere: 18.9.05)

Bremer Theater

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Verhängnisvolle Liebe einer Treibhauspflanze

Verdis „Rigoletto“ als Geschichte einer gescheiterten Frauenemanzipation, das ist gewiss keine revolutionäre Neudeutung. Aber die Produktion gefällt durch Andrej Worons Fähigkeit eine operngerechte Realität sui generis auf die Bühne zu zaubern. Und dank der beiden faszinierenden Sängerdarsteller George Stevens (Rigoletto) und Jennifer Bird (Gilda) wird die Aufführung zu einem richtig großen Opernabend.

Die Verpflichtung Worons als Regisseur sowie Bühnen- und Kostümbildner in Personalunion erweist sich abermals als eine Bereicherung der Sehgewohnheiten im Musiktheater. Woron ist ein detailverliebter Virtuose, wenn es darum geht, die phantastische (Alb)Traumwelt der Oper mit Witz und einer unverwechselbaren, sinnfälligen Bühnenraumsprache in Schwingung zu versetzen. Am glücklichsten gelingt ihm das in Bezug auf Gilda. So fallen etwa zu Beginn des zweiten Bildes zwei Palmen ins Auge, die sich aus der Baracke Rigolettos auf der Rückseite des herzöglichen Vergnügungsschiffes ihren Weg durch harte Wellblechpanzerung ins Freie erkämpft haben. Das Innere dieser Behausung wird wenig später als üppiges Treibhaus-Biotop der unterdrückten Natur Gildas sichtbar. Das hat Sentiment und zärtlich hintersinnigen Humor.

Viele gute Ideen summieren sich allerdings nicht zwangsläufig zu einer völlig überzeugenden Inszenierung. Wohl eröffnen die wechselnden sozialen Identitäten des Herzogs viele Gelegenheiten zu ulkigen Situationsarrangements und beschreiben treffend den willkürlichen Feudalcharakter, doch vermisst man manchmal den Blick in die Abgründe der Gesellschaft und der Seelen. Der neckische Einfall wird oft zu sehr zum Selbstzweck. Unter diese Rubrik fallen ganz sicher die beiden vom Putzwahn infizierten Rockerladies aus der Umgebung des Herzogs. Erst mit dem großartig angelegten Finale führt Woron das absurde Stück direkt auf den Kern seiner menschlichen Tragik zurück, wenn Rigoletto seine aus dem Sack sich entwindende Tochter im Moment ihres Todes brüsk vorwurfsvoll abweist, noch in der Katastrophe unfähig, das Mädchen als freien Menschen zu akzeptieren.

In George Stevens findet die Paraderolle des Rigoletto eine ideale Verkörperung. Stevens verfügt über die genau richtige Mixtur von Stimmkraft und Gesangskultur, um dem immensen Leidensdruck der Figur ein packendes vokales Profil zu verleihen. Seine Herangehensweise an die Rolle ist ein einziges mächtiges Crescendo der seelischen Verwundungen und Herzensnöte. Den Herzog meistert Emmanuel di Villarosa, darstellerisch nicht unbedingt der Libertin, mit Grazie und ohne Kehlkopfprotzerei. Yaroslava Kozina macht als kokettes Flittchen Maddalena Furore. Kristjan Moisnik mimt als Sparafucile ein sinistres Alter Ego des Titelhelden.

Zu den bemerkenswertesten Entdeckungen des Bremer Musiktheaters in der letzten Zeit gehört Jennifer Bird. Es ist eine ungetrübte Freude dieser Spezialistin für ausgefeilte Charakterstudien zuzuhören und zuzuschauen. Bewunderungswürdig, wie sie mit duftiger Pianokultur empfindungsdurchglühte melodische Linien formt, die Kadenzen individualisiert und ebenso schauspielerisch mit nie nachlassender Lebendigkeit feinsten Seelenregungen nachspürt. Das schließt auch eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit der Sängerin ein – von ihrem ersten, gemüthafte Komik versprühenden Auftritt bis zur Schlussszene, in der sie das ganze Mitleid der Zuschauer für Gilda mobilisiert.

Nach fast einem Jahr beehrt GMD Lawrence Renes die Oper wieder mit einer eigenverantworteten musikalischen Neueinstudierung. Er schwächt die emotionale Dauerspannung von Verdis Musik deutlich ab und sorgt für einen fast dezenten, aber nicht farblosen, überaus sängerfreundlichen Orchesterklang.

Das Publikum ließ sich rasch begeistern, spontane Bemerkungen wie „Das ist ja total Klasse!“ begleiteten die Vorstellung. Endlich scheint auch vor Ort die dem Haus in diversen Kritikerumfragen erst jüngst wieder bescheinigte Spitzenqualität voll anerkannt zu werden. (ct)


Fotos: © Jörg Landsberg