Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

EINE FLORENTINISCHE TRAGÖDIE/DER ZWERG
(Alexander Zemlinsky)
4. Oktober 2009 (Premiere)

Theater Bremen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Viel Raum für Assoziationen

Alexander Zemlinskys Eine florentinische Tragödie wurde 1917 in Stuttgart uraufgeführt, Der Zwerg 1922 in Köln. Beide Einakter an einem Abend aufzuführen hat durchaus Tradition. Sicher liegt das auch daran, dass beiden Werken eine literarische Vorlage von Oscar Wilde zugrunde liegt. Die Florentinische Tragödie ist als Drama Fragment geblieben, Der Geburtstag der Infantin ist ein Märchen aus der Sammlung Vier Märchen um das Granatapfelhaus, in dessen Mittelpunkt der Zwerg steht, den die spanische Infantin zum 18. Geburtstag von einem Sultan geschenkt bekommt. Musikalisch steht Zemlinsky einerseits in einer postromantischen Linie, wie sie vor allem Richard Strauss geprägt hat, findet andererseits aber durch seine sehr individuelle Kunst der Instrumentation und Harmonik zu einer ganz eigenen Tonsprache. Wie sehr er den Komponisten vor allem in dieser Linie mit Richard Strauss sieht, demonstriert Bremens Generalmusikdirektor Markus Poschner. Ohne in falsches Pathos abzudriften lässt er die reichen Farben und Klänge der Partitur aufblühen. Gelegentlich könnte er dabei etwas mehr auf die Bühne hören und die Klangwogen zugunsten der Sänger zurücknehmen, was besonders in der Florentinischen Tragödie mitunter zu Schwierigkeiten in der Abstimmung zwischen Bühne und Orchestergraben führte. Abgesehen davon hat er die Bremer Philharmoniker jedoch bestens vorbereitet und entfaltet im Verlauf des Abends ein immer feineres Gespür für Zemlinskys flirrende Klangwelten.

Dass die Florentinische Tragödie musikalisch insgesamt hinter dem Zwerg zurückbleibt, liegt vor allem an einem Protagonistenterzett, das den vokalen Anforderungen seiner Partien nur bedingt gerecht wird. Mark Duffin als Liebhaber Guido Bardi zeigt seinen Tenor in dieser Rolle in recht farbarmer Form, Klang und Tongebung werden immer enger und schmaler, je höher die Partie wird. Carsten Wittmoser als Simone verfügt über einen gut fokussierten Charakterbariton, gerät aber auch immer dann in Schwierigkeiten, wenn er zu viel Kraft geben will, um gegen die Klangwellen des Orchesters anzukommen. Und Barbara Buffy als Bianca, von Zemlinsky mit dem kleinsten Gesangspart bedacht, kann ihren dunkel timbrierten Mezzo mit etwas mulmiger und unklarer Tongebung auch nur bedingt zu ihrem Vorteil einbringen. Alle drei Protagonisten hätten sicher von einem Dirigat profitiert, das subtiler auf ihre Möglichkeiten einzugehen versteht.

Ganz anders das Ensemble im Zwerg. Zurecht vom Publikum mit dem meisten Beifall bedacht ist Peter Marsh in der Titelpartie. Mit hell timbriertem, bis in die Höhe sicher und frei geführtem Charaktertenor und bezwingendem Spiel leuchtet er alle Facetten dieser dankbaren Partie vollkommen aus. Sara Hershkowitz und Nadine Lehner als Infantin Donna Clara und ihre Lieblingszofe Chita bringen mit ebenfalls überzeugenden Rollenporträts zwei ganz unterschiedlich gefärbte Soprane ins Spiel – auf der einen Seite die Koketterie der launigen Prinzessin, auf der anderen Seite die warmen, groß aufblühenden Töne der Zofe, die als einzige Mitleid mit dem Zwerg hat und das tragische Ende mit seinem Tod vorausahnt. Die übrigen Partien ergänzen diese insgesamt wunderbare Ensembleleistung perfekt.

Regie und Bühnenbild liegen in den Händen von Andreas Bode und dem chinesischen Künstler Ai Weiwei, der das Bühnenbild und die Kostüme entworfen hat. Parallel ist in den Foyers des Bremer Theaters derzeit eine Ausstellung mit Arbeiten Ai Weiweis zu sehen. Er gilt als der bedeutendste chinesische Künstler der Gegenwart, der sich vor allem politisch immer wieder einmischt und zu Wort meldet – als scharfer Regimekritiker der chinesischen Regierung. Seine Bildsprache ist klar und einfach. In der Florentinischen Tragödie ist das beherrschende Element auf der Bühne eine Installation aus vielen weißen Fahrrädern. Das lässt viel Raum für Assoziationen: Ist es das Rad des Lebens oder der Zeit, das sich unaufhaltsam dreht? Bedeutet es, dass sich die Protagonisten immer nur um sich selbst drehen? Antworten gibt es viele, und das spricht für die Inszenierung, die sich auch abseits vom Bühnenbild eher zurücknimmt und der Sprache und der Musik ihren Raum lässt. Im Zwerg ist es eine Konstruktion weißer Balken, die vom Bühnenhimmel herabhängt und sich zu den unterschiedlichsten Formen wandeln kann. Dazu steigen aus dem Boden ein paar Stufen auf, die irgendwann wieder in der Versenkung verschwinden, das war’s. Auch das ist ein Raum, der viele Möglichkeiten lässt, sich vorzustellen, was er denn bedeuten könnte. Dabei tragen die Bilder eine große optische Klarheit in sich, nichts ist zu viel oder gar überflüssig. Genauso wenig, wie Zemlinskys Tonsprache exakt einer Strömung seiner Zeit zuzuordnen ist, so ist es diese Handschrift von Regisseur und Bühnenbildner. Vielleicht ist gerade das der Schlüssel zu einem Abend, der am Ende sehr zum Nachdenken über die Stücke führt und Lust auf mehr macht – mehr Zemlinsky und mehr Ai Weiwei.

Christian Schütte

 






 
Fotos: Theater Bremen