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Fakten zur Aufführung 

ARIANE ET BARBE-BLEUE
(Paul Dukas)
24. März 2005 (Premiere)

Bremer Theater

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Vernunft und Güte - vergeblich

Wenig schmeichelhaft dürfte für viele Frauen und für das männliche Geschlecht ohnehin sein, was Konstanze Lauterbach in ihrer Neuinszenierung von Paul Dukas’ sehr zu Unrecht kaum gespielter Oper „Ariane und Blaubart“ am Bremer Theater ans Tageslicht bringt.

In Dukas’ eigenwilliger Blaubart-Adaptation auf ein Libretto von Maurice Maeterlinck hat der Ritter seine Frauen nicht ermordet. Sie harren stattdessen in einem Kellergefängnis seines Schlosses aus. Als seine neue Frau Ariane einen beherzten Befreiungsversuch unternimmt, scheitert sie an der Hörigkeit ihrer Geschlechtsgenossinnen gegenüber einem Mann, der längst seine körperliche und seelische Macht eingebüßt hat. Die Angst der Menschen vor den Mühsalen der Individuation verstellt ihnen den Weg in die Freiheit und ist der sicherste Garant für die Verewigung ihres Leidens. Eine bittere Wahrheit und ein großer Stoff für eine Aufklärerin aus Verzweiflung wie Konstanze Lauterbach.

Der Regisseurin ist ohne oberflächliche Aktualisierungsversuche eine Maßstäbe setzende Zeitdiagnose gelungen. Von ihrer Fähigkeit ebenso schockierende wie aufrüttelnde, stets minutiös auskomponierte Tableaus in Szene zu setzen, macht Konstanze Lauterbach eindrucksvollen Gebrauch. So zu Beginn des 2.Aktes, wenn Ariane und ihre Amme in das Untergeschoss des neosymbolistisch verrätselten Betonbunkers (Bühne: Kathrin Frosch) hinabsteigen und dort der chorisch verstärkten Frauenopfer Blaubarts ansichtig werden: Verstörte, auf nervöse Ticks reduzierte Gestalten, in ihrer flatterhaften Verängstigung eher scheuen Tieren als Menschen ähnlich. An Seilen befestigte Frauenkörper schweben darüber scheintot im Raum. Ein alarmierendes Schauerbild von ungeheuerer tiefenpsychologischer Suggestionskraft.

Nachdem es Ariane endlich geschafft hat, die Frauen ans Licht zu locken, vermögen diese nur kurz und zaghaft ihr Glück zu genießen, schon erstickt ihre Solidarität in Boshaftigkeiten und Häme. Nach der Rückkehr eines durch die Schläge der Bauern und Arianes unterdrückte Liebe domestizierten Blaubart gleichen sie sich abermals jenen synthetischen, willenlosen Geschöpfen an, wie sie heute von den Titelblättern diverser Frauenzeitschriften leblos herablächeln. Konstanze Lauterbach zeigt wie Frauen daran zerbrechen, dass ihr Bild von sich selbst auf das Abstraktum männlicher Wunschphantasien heruntergekommen ist.

Dabei ist Dukas’ Oper alles andere als ein frauenfeindliches Stück, denn Ariane gehört eben nicht der Legion passiv-duldsamer, leidender Frauenfiguren an, wie man sie etwa von Puccini kennt. Yamina Maamar hat sich die immens anspruchsvolle Partie als Einspringerin in 17 Tagen auf kongeniale Weise zu Eigen gemacht. Sie verkörpert Vernunft, Güte und ein Moment unkonventioneller Wildheit, ist anrührend auch im Konflikt mit ihrer eigenen Liebe zu Blaubart. Ihr Gesang flutet warm und klar, steigert sich immer wieder - besonders in der Diamantenarie - zur lodernden Kraft eines veritablen dramatischen Soprans. Wenn sich Arianes Gefährtinnen am Ende in selbstgewählter Unmündigkeit ihrem ehemaligen Peiniger erneut unterwerfen und ihrer Befreierin den Laufpass geben, ergreift Maamars Ariane durch die starken Augenblicke einer stillen Tragik der Vergeblichkeit. Das ist äußerst schmerzhaft. Diese Heroine verweigert die Erlösung durch einen gefälligen Operntod, der Stachel ihres Scheiterns bleibt im Fleisch des Zuschauers stecken. Die Botschaft schien beim nachdenklichen Premierenpublikum angekommen zu sein, das starken Schlussapplaus spendete, doch jubelnde Bravos weitgehend zurückhielt.

Analog zum aufklärerischen Zug des Librettos hat Dukas eine hochreflexive musikalische Kritik des Fin de Siècle und der Décadence formuliert - paradoxerweise mit den Stilmitteln des Impressionismus und der Spätromantik des frühen Schönberg. Stefan Klingele und die Bremer Philharmoniker parieren diesen reizvollen Widerspruch ohne Scheu vor der Klangschönheit der Partitur. Durch flüssige Tempi, kontraststarke dynamische Abstufungen und letzten Feinschliff im instrumentalen Filigran leuchtet das Orchester einen ganzen Abend so transparent wie die Diamanten, die Ariane besingt und deren Klarheit ihr Wesen widerspiegeln.

Der von Thomas Eitler zuverlässig einstudierte Chor ist in erster Linie darstellerisch gefordert; die Männer als moralisch getarnte Empörer, die gewaltsam ihre Chance erzwingen wollen, sich auch endlich einmal an Blaubarts Frauen vergreifen zu können, während der Frauenchor in akribisch stringenten Einzelstudien das Quintett der ehemaligen Bräute (unter ihnen Yaroslava Kozinas auch vokal einprägsame Sélysette) zum weiblichen Geschlechtskollektiv anwachsen lässt. Neben Yamina Maamar bleibt Maria Kowollik als schauspielerisch ebenbürtige Amme stimmlich unauffällig. Loren Lang verleiht der musikalisch winzigen Partie des Blaubart darstellerisch eine geheimnisvoll verhaltene Anziehungskraft. Dass es ausgerechnet dem emblematischen „Gesang der Töchter von Orlamonde“ im 1.Akt noch an Präzision und vor allem an dem schauerlich-fahlen Grundton fehlt, vermag den ausgezeichneten Gesamteindruck der Produktion kaum zu schmälern.(ct)


Fotos: © Jörg Landsberg