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Fakten zur Aufführung 

MANON LESCAUT
(Giacomo Puccini)
28. November 2008
(Premiere: 17. Oktober 2008)

Staatstheater Braunschweig


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Tödliche Lebens-Sucht

Puccinis Geniestreich von 1893 ist eine Folge emotionaler Episoden – mit einem wahren Furor hochdramatischer Musik.

In Braunschweig inszeniert Matthias Schönfeldt den von Lebens- und Liebes-Sucht bestimmten gnadenlosen Abstieg einer instrumentalisierten Frau in die Katastrophe. Bezwingende Einzel-Szenen fügen sich zu einem überwältigenden Ganzen; dabei gelingen Konstellationen höchster Intensität – zwischenmenschliche Beziehungen werden in ihren so archetypischen Leidenschaften mitreißend vermittelt. Bewundernswert das äußerst vielfältige Repertoire an kommunikativen Variationen des Bühnen-Agierens, die der Regisseur spannungsreich einsetzen kann!

Birgit Angeles Bühne gibt diesem intim-distanzierenden Drama den angemessenen Raum: die Bühnenmitte füllend ein riesiger überdimensionierter „Leuchtkasten“ auf der Drehbühne, mit einem „Schaufenster“ zur „Ausstellung“ der Manon an der Stirnseite, mit einem riesigen Wüstenbild als Verweis auf das Ende in tödlicher Einsamkeit schon in den ersten Akten.

Das Staatsorchester Braunschweig ist – nach diffusem Beginn – total auf einen aggressiv-hochdramatischen Puccini-Klang eingestellt. Alexander Joel betont konsequent die Kontraste in der Musik, die expressiven Crescendi, die verstörenden Dissonanzen – variiert Tempi und Dynamik zu einem ungemein plastischen Klangbild, begleitet dabei die Sänger mit stimulierender Unterstützung - und zelebriert mit dem Intermezzo vor dem Schluss-Akt ein in opulenten Streicher-Tutti mit Oboen-Solo ein retardierendes Musik-Erlebnis höchster Intensität.

Galina Shesterneva ist eine faszinierend attraktionssuchende Manon, kindlich-labil, hemmungslos verliebt, rücksichtslos ihren Status verteidigend, hilflos gefangen, hoffnungslos in den Tod übergehend. Was diese Darstellerin mit katzenartiger Geschmeidigkeit, imaginierenden Bewegungen und Gesten, situations-interpretierender Verwandlungskunst realisiert, ist schlichtweg phänomenal. Aber darüber hinaus verfügt die Shesterneva über einen wandlungsfähigen Sopran – leidenschaftlich in impressiven Piani und absolut ausdrucksstark in den brillant-volltönenden Höhen; sie ist mit Sicherheit eine große Hoffnung für das dramatisch-musikalische Theater!

Arthur Shen ist – mit dem vorgegebenen eher eindimensionalen Charakter – ein adäquater Des Grieux, setzt seine bestimmende Legato-Fähigkeit emotional bewegend ein, glänzt mit leidenschaftlich-flexibler Mittellage und bemerkenswert sicheren Höhen – und seine entwicklungsfähige Stimme wird noch an Durchsetzungs-Kompetenz gewinnen. George Stevens gibt dem autoritär-ausbeutenden Lescaut mit kraftvollem Bariton konsequenten Ausdruck, vermag aber auch das scheinbare Mitgefühl für die unterdrückte Schwester ambivalent zu artikulieren. Mit Dae-Bum Lee ist ein lust-kaufender Geronte mit stupendem sonoren baritonalen Timbre zu hören; die weiteren Rollen sind am ambitionierten Braunschweiger Haus typengerecht und stimmlich kompetent besetzt. Und der Chor beeindruckt sowohl durch bella figura der Sänger als auch durch intensives kollektiv abgestimmtes Singen und engagiertes Agieren.

Unverständlicherweise ist das Braunschweiger Haus nur spärlich besucht – doch die erschienenen Besucher lassen sich auf die langsam sich entwickelnde Bedeutung des eher fragmentierten Geschehens ein, akzeptieren die unerwartet „moderne“ Puccini-Musik und feiern die Protagonisten mit lebhaftem Applaus: Die unbezweifelbare Qualität der Aufführung – mit ihrer diskursiv nachvollziehbaren gesellschaftlichen Relevanz! - wird sich in Braunschweig und Umgebung noch herumsprechen! (frs)
 




Fotos: Franz Schlechter