Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

WIENER BLUT
(Johann Strauß)
23. Oktober 2009 (Premiere)

Staatstheater Braunschweig


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Von Liebe und von Trieben

Er wollte nicht mehr recht. Johann Strauß überließ es seinen Bearbeitern, nach seinen Vorgaben eine neue Operette aus bereits vorhandenem Material zu kreieren. Ein gleichermaßen merkwürdiger wie einzigartiger Fall in der Geschichte der Operette! Wiener Blut ist eigentlich gar keine – zumindest keine „echte“, nach außen betrachtet. Der Titel entstammt dem 1873 entstandenen Walzer, der zusammen mit einer Reihe weiterer Kompositionen aus dem reichen Fundus des Komponisten nachträglich mit Text unterlegt und zu einer Geschichte zusammengefügt wurde. Und das in den letzten Zügen nicht mehr von Johann Strauß selbst, denn die Uraufführung im Jahr 1899 erlebte er nicht mehr, starb kurz zuvor im selben Jahr.

Die Geschichte dreht sich um Irrungen und Wirrungen von Liebe und Trieben. Der thüringische Balduin Graf Zedlau ist Gesandter in Wien. Seine dort geehelichte Gattin Gabriele fühlt sich alsbald gelangweilt und geht auf Reisen. Der Baron vertreibt sich derweil die Zeit mit der Demoiselle Franziska Cagliari, Tänzerin und Tochter des Karussellbesitzers Leopold Kagler, und mit Pepi Pleininger, einer Probiermamsell, die zugleich auch die Braut seines Kammerdieners Josef ist. Schwung und Licht ins Spiel bringt Fürst Ypsheim-Grindelbach, Premierminister des thüringischen Stammhauses von Graf Zedlau, der nach Wien kommt, um seinen Gesandten aus der Nähe zu beäugen. Der Fürst sieht mal den mit der, mal die mit dem, blickt nicht wirklich durch – und am Ende ist, wie es sich gehört, alles wieder gut – Schuld war eben nur das Wiener Blut!

Regisseur Thomas Enzinger verortet das Stück im überhöhten Fin de Siècle-Ambiente in der Zeit des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Dass er ein Händchen für’s Geschichten erzählen hat, das zeigt der Abend genauso wie sein Talent, die Geschichte zu karikieren, zu ironisieren und sie satirisch zu nehmen. Die übertriebene Hochsteckfrisur der Demoiselle Cagliari etwa fügt sich perfekt ihrem reichlich einfältigen Wesen an, denn sie hält sich offenbar für etwas Besseres, etwas Überhöhtes. Geschmackssache ist es, ob die überlebensgroßen Straußen-Figuren – der Vogel, nicht der Komponist – in der Ball-Szene im zweiten Akt und die Hühnerkostüme der aufgebrachten Damengesellschaft zu viel des Guten sind, originell ist alles das unbedingt. Dass die Geschichte selbst dramaturgisch keineswegs bündig und schlüssig ist, dagegen versucht Enzinger gar nicht erst anzugehen und überspielt diese Schwächen mit der großen Freude, die er offenbar an seiner Inszenierung hatte.

Diese Freude ist auch dem Ensemble anzumerken. Stimmlich stellen die Damen die Herren etwas in den Schatten. Susanna Pütters ist mit ihrem reifen, feinen lyrischen Sopran eine ebenso elegante wie gewitzte Gabriele, Simone Lichtenstein eine kokette, einfältige und durchtriebene Cagliari, für die sie ihren schlanken, schön timbrierten Sopran genussvoll zum Einsatz bringt. Gleiches gilt für Moran Abouloff in der kleineren Partie der Pepi Pleininger. Tobias Haaks’ Tenor fehlt es für den Grafen Balduin noch etwas an stimmlichem Durchsetzungsvermögen, exakter Tongebung und vor allem an Textverständlichkeit. Davon könnte Frank Matthias als sein Kammerdiener Josef auch noch mehr vertragen, gibt seiner Rolle mit nicht sehr großem, aber charakterstark eingesetztem Tenor die nötige Verschmitztheit. Stimmlich stärkstes Profil unter den Herren zeigt Henryk Böhm als Premierminister. Sein kerniger Bariton gibt der Figur angemessene Würde, und sein herrlich thüringischer Dialekt in den Sprechpassagen die notwendige Komik der Figur. Ein berührendes Rollenporträt zeichnet Wolf Aurich als Leopold Kagler, ein Operettendarsteller allererster Güte.

Wesentlichen Anteil am musikalischen Erfolg des Abends haben Sebastian Beckedorf und das Staatsorchester Braunschweig. Johann Strauß stellt durchaus höchste spieltechnische Anforderungen an die Musiker, der ganz besondere Charme seiner Musik fordert einen hohen Preis. Das Staatsorchester stellt sich dem höchst respektabel, gewinnt im Lauf des Abends immer mehr an Spielkultur und Klangschönheit dazu und präsentiert dennoch einen ganz unsentimentalen, geraden Johann Strauß.

Das Publikum zeigte sich für diesen insgesamt rundum gelungenen Operettenabend mit langem, begeistertem Beifall sehr dankbar.

Christian Schütte

 








 
Fotos: Jochen Quast