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Fakten zur Aufführung 

SVÄTOPLUK
(Eugen Suchon)
11. September 2009
(Premiere: 8. November 2008)

Slowakisches Nationaltheater Bratislava


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Musik

Gesang

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Land zwischen Ost und West

Die Slowakei ist mit der Anfang 2009 im Land erfolgten Euro-Einführung zur weit nach Osten ausgreifenden Vorhut der europäischen Gemeinschaftswährung geworden. Auf den neuen Ein- und Zwei-Eurostücken prangt stolz das Patriarchenkreuz des Nationalwappens. Im Osten des Landes verläuft die fließende Grenze zwischen römischer und orthodoxer Kultur. Dagegen hat sich Bratislava - die in unmittelbarer Nachbarschaft zu Österreich liegende Kapitale mit dem slawisch anmutenden Namen - in den letzten Jahrzehnten zusehends zu einer Markt- und Konsummetropole westlichen Typs entwickelt. Sonach durchzieht eine eigentümliche Ambiguität zwischen Ost und West das Land und mehr noch die slowakische Seele. Sinnfällig studieren lässt sich das am Beispiel des als Nationalhelden verehrten Ludovít Stúr, der im 19. Jahrhundert federführend bei der Kodifizierung der slowakischen Schriftsprache war. Stúr sah die politische Zukunft seines Volkes, wie der slawischen Welt überhaupt, in einem Bündnis mit Russland; eine seinerzeit kühne, progressive Vision, die sich späterhin zu einem Trauma wandelte, als sowjetische Truppen 1968 auch in Bratislava einmarschierten. - Freilich, es war das christliche Russland, an das Stúr dachte!

Diese Zwiespältigkeit zwischen Ost und West hat eine lange Geschichte. In seinem Musikdrama Svätopluk (1960) zeigt der slowakische Komponist Eugen Suchon (1908-1993) die inneren und äußeren Zwistigkeiten auf, die gegen Ende des neunten Jahrhunderts den Zusammenbruch des Großmährischen Reiches von König Svätopluk herbeigeführt haben. Eine Ursache für den Zerfall dieses frühen und mächtigen Vorläuferstaates der heutigen Slowakei ist in seiner politischen Zerrissenheit zwischen fränkischer und byzantinischer Hemisphäre zu suchen. Die letztere wird in Suchons Oper durch Svätopluks Sohn Mojmír personifiziert. Er fühlt sich der Lehre der Slawenapostel Kyrill und Method verbunden, während der zweite Thronerbe, Svätopluk junior, sein Glück in einer Koalition mit Heiden und Magyaren sucht. Dass aus der überaus verwickelten Handlung, die sich daraus entspinnt, eine wirklich packende Oper werden konnte, liegt zuvörderst an der suggestiven und bildkräftigen Musik mit ihren archaisch historisierenden, quasi byzantinisch prunkenden Klangphantasien. Doch verweist die Partitur, besonders in ihrer mitunter sehr massiven orchestralen und dynamischen Kompaktheit, zugleich auf das Lebensgefühl während der Entstehungszeit des Werkes in den 50er Jahren der sozialistischen Ära. Eine schwere, dunkle Atmosphäre von Niedergeschlagenheit und Aussichtslosigkeit lastet auf der Musik von den ersten Takten an. Solche Mehrschichtigkeit und Mehrdeutigkeit des Svätopluk hat ein Meisterwerk sui generis entstehen lassen: Historienoper und geheimes Zeitstück in Einem.

Für die aus Anlass des 100. Geburtstages von Eugen Suchon im Jahr 2008 entstandene Neuproduktion hat man in Bratislava wie schon bei Krútnava den Filmregisseur Juraj Jakubisko verpflichtet, dessen künstlerische Vita seinerseits eng mit den Widerfahrnissen der jüngeren (tschecho)slowakischen Geschichte verkettet ist. Jakubiskos Interpretation widersteht allen naheliegenden Aktualisierungsversuchen. Für ihn haben die großen nationalen Ereignisse um König Svätopluk und seine Söhne eine zeitlose Präsenz. Die Phantasie der Zuschauer nicht vorschnell festzulegen, dies ist die eine große Stärke seiner Arbeit, wobei Jakubisko bei aller Abstraktion nichts von optischer Askese hält. So sind die prächtigen und auf ihre Art doch schlichten Kostüme von Ludmila Várossová einfach wunderschön anzusehen. Jakubiskos zweite Stärke: die sehr prägnant gezeichneten Charaktere der Protagonisten. Jakubisko inszeniert kein Drama der äußeren Haupt- und Staatsaktionen, sondern ermöglicht differenzierte Einblicke in das individuelle Seelenleben der Menschen, die als Täter oder Opfer am Räderwerk der Geschichte verzweifeln. Endlich, nach drei Akten Drangsal und Chaos, bricht sich in dem von Suchon im Stil einer Preghiera komponierten Eid des neuen Königs Mojmír die durch Leiden gelehrte Einsicht Bahn, dass nur ein auf Eintracht und ethische Güte gegründetes Staatswesen existenzfähig ist.

Milan Ferencík hat für dieses Geschehen eine durch verschiebbare Felsblöcke und Felsplatten strukturierte, von mysteriöser Finsternis umhüllte Bühnenlandschaft geschaffen. Aus dieser Dunkelheit, die zugleich eine sehr gelungene Metapher für die opake Rätselhaftigkeit von Geschichte an sich darstellt, tauchen die Handlungsepisoden und Figuren um das legendäre Großmährischen Reich auf: König Svätopluk, von Ján Galla mit stabilem Bass ausgestattet; der wohlgefällige Mojmír, von Pavol Remenár mit mühelosen Wechseln zwischen heldenhafter und lyrischer Farbgebung gesungen und Svätopluk junior, den Ludovít Ludha mit seinem nie versagenden Tenormaterial vokal eindringlich verkörpert. Die dankbare Partie des Dichters und Schreibers Záboj interpretiert Tomás Juhás mit liedhafter Intensität. Katerína Stúrová glänzt als Sklavin Milena mit zart blühenden Sopran-Höhenflügen. Die einzige fragwürdige Besetzung bleibt die zwar untadelig singende Lubica Rybárska, der für die Gestalt der Verführerin Lutomíra das der Rolle angemessene Aussehen fehlt.

Der von Chordirektor Pavol Procházka musikalisch gut präparierte, von Jakubisko zwingend bewegte Opernchor des Slowakischen Nationaltheaters findet zu einer machtvoll fülligen, plastischen, jedoch auch zu dynamischer Feinzeichnung fähigen vokalen Interpretation. Mit Brillanz, Temperament und dramatischen Affekt im Vortrag formen die Chorsängerinnen und Chorsänger den gesamten heidnisch-wilden 2. Akt zu einer Sternstunde des Chorgesangs. Energisch, straff und angemessen spannungsreich, aber ohne jeden Hang zur Überzeichnung verlebendigen Dirigent Dusan Stefánek und das Opernorchester die prachtvoll leuchtende Motivik der Partitur. Das Publikum im eher schwach besetzten großen Opernsaal des 2007 eröffneten Theaterneubaus begleitet die Aufführung mit konzentrierter, in den beiden Pausen diskussionsfreudiger Aufmerksamkeit.

Fazit: Mit Svätopluk präsentiert das Slowakische Nationaltheater in einer musikalisch wie szenisch aufwühlenden Produktion (übrigens mit deutschsprachigen Übertiteln!) eine in Deutschland noch viel zu wenig beachtete Meisteroper aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Europäischer Geschichtsunterricht der Extraklasse!

Christian Tepe




Fotos: Robo Hubac