Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

KRÚTNAVA
(Eugen Suchon)
September 2008
(Premiere: 20. Mai 2007)

Slowakisches Nationaltheater Bratislava


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Einheit von Gott, Mensch und Natur

Als nach dem Zerfall der Donaumonarchie das Slowakische Nationaltheater (SND: Slovenské národné divadlo) gegründet wurde, nutzte man als Spielstätte den 1886 im historischen Stadtzentrum von Pressburg entstandenen Helmer-Fellner-Bau, den sich bis dahin deutsch- und ungarischsprachige Ensembles geteilt hatten. Erst 2007 konnte am Donauufer - wenige Kilometer flussabwärts von der Burg Devin, einem slowakischen Nationalheiligtum aus der Zeit eines frühen Slawenstaates - ein großzügig konzipierter neuer Theaterkomplex eröffnet werden. So findet die Existenz einer selbständigen slowakischen Kultur und Theaterkunst endlich auch ihren angemessenen architektonischen Ausdruck in der Hauptstadt, die nun über zwei attraktive vom SND bespielte Opernhäuser verfügt.

Im Operngenre sind es vor allem die Werke des Komponisten Eugen Suchon (1908-1993), die von der Eigenart der slowakischen Psyche erzählen. Anlässlich seines 100. Geburtstages gab es am SND zum Saisonauftakt eine Festaufführung von Suchons Oper Krútnava, die zugleich live im nationalen Fernsehen gezeigt wurde - eine für deutsche Verhältnisse leider inzwischen unvorstellbar gewordene Wertschätzung der Künste! Das 1949 in Bratislava uraufgeführte Stück ist eine raue Geschichte aus den slowakischen Wäldern: Um seine Auserwählte Katrena heiraten zu können, ermordet der reiche Ondrej seinen Nebenbuhler Jano Stelina. Aber das erhoffte Glück stellt sich nicht ein. Ondrej vermag die Last des schlechten Gewissens nicht zu tragen. Im Wirbel der Gefühle (slowakisch „krútnava“) bekennt er sich öffentlich zu seiner Tat und Schuld. Am Ende verzichtet der alte Stelina, der Vater des ermordeten Jano, auf Rache und Vergeltung; das Stück klingt in einer befriedenden, hoffnungsvollen Tonlage aus.

Für sein Vorhaben, „der Welt von der Opernbühne aus unser slowakisches Volk mit allen seinen Problemen nach dem Ersten Weltkrieg zu zeigen“, hat Suchon eine Musik komponiert, die die Mittel einer avancierten, modernen Klangsprache mit folkloristischen Wurzeln verschmilzt. Äußerst geschickt verschränkt er die Haupthandlung mit Tänzen und dem Volkslied nachempfundenen Gesangseinlagen, wie zum Beispiel in dem ebenso hinreißenden wie dramaturgisch doppelbödigen Hochzeitsbild.

Der slowakische Filmregisseur Juraj Jakubisko hat für Suchons Ansichten heimatlicher Lebenswelten eine überaus einfühlsame, keineswegs restaurative Bildästhetik gefunden, die gerade für den an das deutsche Regietheater mit seinen Vergrübelungen und Ironisierungen gewohnten Zuschauer eine durchaus neue Theatererfahrung bedeutet. Während Jakubisko das Beziehungsgefüge zwischen Katrena, Ondrej und dem alten Stelina realistisch-präzise durchleuchtet, haben er und sein Bühnenbildner Milan Ferencik für das metaphysische Gehäuse der Handlung ein Natur- und Seelengemälde von großer atmosphärischer Dichte geschaffen. Ihr ikonisches Szenogramm legt die mystische Einheit von Gott, Mensch und Natur als seelisches Prius aller dramatischen Aktionen offen und lässt eindringlich nachempfinden, warum „Krútnava“ als die slowakische Nationaloper schlechthin gilt.

Die eigentliche Hauptrolle fällt dabei dem Chor zu - und das Chorensemble des SND erweist sich als ein Sängerkollektiv von höchster Leistungsfähigkeit: einfach bezaubernd die klangliche Prachtentfaltung und darstellerische Vitalität der Volksszenen; hymnisch strahlend und von raumgreifender Erhabenheit dagegen die kommentierenden Passagen zu Beginn und am Ende, in denen die Chorsänger nach dem Modell des antiken Tragödienchores figurieren; voller imaginativer Spannung schließlich jene Momente, wenn der Chor zur inneren Stimme des um sein Seelenheil ringenden Ondrej wird.

Genauso wie der exzellente Chor lassen die hervorragenden Solisten aufmerken: der erfahrene Miroslav Dvorský als innerlich zerrissener Ondrej, Jan Gallas’ schnörkellose, fesselnde Charakterstudie des alten Stelina und besonders Mária Porubcinová, die für ihre Katrena ein vokales Gepräge von zart-sensibler Verletzlichkeit bereithält, ohne es an der nötigen sopranistischen Strahlkraft fehlen zu lassen. Überhaupt ist die hohe Qualität der Sängerausbildung eines der hervorstechenden Merkmale des slowakischen Opernlebens. Man darf sicher sein, dass das SND unter der neuen Operndirektorin Gabriela Benacková seine schon traditionelle europäische Spitzenstellung bei der Entdeckung und Förderung neuer Talente noch weiter ausbauen wird.

Das Orchester der Oper des SND überzeugt unter Dusan Stefánek durch differenzierte Dynamik, Leidenschaft und Suggestionskraft - unversehens erscheinen die durch die Musik beschworenen Landschaften auch vor dem inneren Auge des Hörers. Im Publikum herrscht eine dezente, gänzlich unprätentiöse nationale Feierstimmung vor, in den euphorischen Beifall mischt sich der Jubel einiger aus dem nahen Österreich angereister Opernkenner. Nicht nur dort hat sich inzwischen längst herumgesprochen, dass fast an der Stadtgrenze Wiens eine weitere, ebenbürtige Opernmetropole von internationaler Anziehungskraft herangewachsen ist.

Christian Tepe



Das Slowakische Nationaltheater Bratislava

 


Fotos: Alena Klenkova