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Fakten zur Aufführung 

KLEIST
(Rainer Rubbert)
22. März 2008 (Uraufführung)

Brandenburger Theater


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Outcast-Drama

Kleist, der Heimatlose; Kleist, der Beziehungslose; Kleist , der Wiedergänger seiner literarischen Figuren. Und so findet die bemerkenswerte Uraufführung ihre Substanz in immer wieder neuen Reminiszenzen der Kleist-Werke – in der Marquise von O., im Käthchen, im Maler von Santo Domingo; aber auch in Ulrike und Henriette, in Bettina von Arnim, Karoline von Günderrode und Clemens von Brentano. Im wahrsten Sinne „getoppt“ wird das Spiel mit den Charakteren durch eine schwebende Marionetten-Halterung mit einer Vielzahl überdimensionaler Fäden. Und die Musik unterstreicht mit einem konstant gleichförmig strömenden Grundton und gelegentlichen Klangeruptionen den immer wieder zerbrochenen Lebensentwurf des (zu) früh vollendeten Outcasts.
Rainer Rubbert komponiert eine Musik, die den Streichern die eher melancholisch reflektierenden Phasen zuordnet, Bläser und Percussion als erregende Instrumente einsetzt, und mit dem fauchenden Schneidbrenner Depeche Mode zitiert und zum lautstarken Furioso vor dem sanft ausklingenden tödlichen Ende wird. Michael Helmrath gelingt mit den konzentriert-engagiert aufspielenden Brandenburger Symphonikern eine differenzierte Interpretation, die (pseudo-)revolutionären Zeitgeist und individuell-gebrochene Befindlichkeiten eindringlich hörbar werden lässt.
Tanja Langer hebt einen wahren Schatz existenzieller Kleist-Texte aus Dramen, Novellen, Briefen – lässt damit politische Dimensionen mit ihrer Diskrepanz von anti-napoleonischem „Freiheitskampf“ und demokratischer Sehnsucht deutlich werden. Allerdings: Ohne die Übertitel wäre dies alles kaum nachzuvollziehen! Zu komplex sind die Sentenzen, zu wenig „sinnlich“-spontan erfassbar.
Thomas Gabriel baut eine überdimensionierte „Marionettenbühne“, die Kleists Vorstellung menschlicher Handlungskompetenz und –abhängigkeit höchst plakativ vermittelt und abgezeichnete Kommunikationsräume schafft. Zahllose Fäden verstärken den Eindruck, Koffer verweisen auf Ruhelosigkeit und Zusammenhalten der Habseligkeiten.
Bernd Mottl lässt die allesamt verstörten dramatis personae auf der Marionetten-Spielfläche „auf mechanische Weise, wie von selbst“ agieren – und erzielt mit einem außerordentlich spielfreudigen Ensemble hoch eindrucksvolle Effekte. Kleists literarisch-philosophische Überlegungen zum Unbegreiflichen menschlicher Existenz werden zu metakommunikativem Bühnenhandeln.
Allein Thorbjörn Björnsson steht während der gesamten Vorführung auf der Bühne; mit seinem ausdrucksvollen Bariton vermag er die gebrochene Psyche des Kleist mit differenzierenden Zwischentönen nachhaltig zu vermitteln. Stephan Bootz singt den mehr als freundschaftlich verbundenen Ernst von Pfuel mit strömendem Bass; Evelyne Krahe mit beeindruckend sicherem Alt und Claudia Herr mit einem wandlungsfähigen Mezzo geben u.a. der Penthesilea und der Marquise bzw. der Henriette eindrucksvolle Stimme; Silja Schindler u.a. als Bettina und Nicolas Hariades u.a. als Ulrike geben ihren Rollen mit agilem Sopran bzw. klangreichem Altus glaubwürdigen Charakter; Mark Coles gibt dem Santo-Domingo-Maler feinnervige Bass-Statur. Insgesamt agieren und singen sechzehn Solisten – individuelle Anstrengungen höchster Intensität mit großartigen Ergebnissen. Eine schier unfassbare Großtat des ambitionierten Brandenburger Theaters, das sich offenbar von der Rolle des brandenburgischen kulturellen Reform-Desasters lösen will – und kraftvolle Beweise seiner Existenz liefert.
Die autochthonen Brandenburger im enthusiasmierten Publikum sehen das wohl genau so: Sie sind stolz auf die Leistungen ihres Theaters, freuen sich über die angereiste Uraufführungs-Szene und feiern ein Kultur-Ereignis ersten Ranges! (frs)

 

 








Fotos: Theater Brandenburg