Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

Aida
(Giuseppe Verdi)
20. Juni 2010
(Premiere am 13.6.10)

Bottroper Symphoniker

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


Audiobeitrag

Wilhelm Wirtz, Intendant der Bottroper Symphoniker, über die Bedeutung der Aida in Bottrop (2'42):


 

zurück       Leserbrief

Popcorn-Oper

Schon die Anfahrt zur Gastspielstätte ist ungewöhnlich. Vom Parkplatz im Eingangsbereich der Halde Haniel in Bottrop werden die Besucherinnen und Besucher in Bussen über eine Panoramastraße mit herrlichem Blick über das Ruhrgebiet zum Amphitheater Bergarena transportiert. Auf 185 Meter über Meeresspiegel ist es einem Krater gleich in die Halde eingelassen und für die Aida noch einmal um 400 Sitzplätze erweitert worden. Das Umfeld ist perfekt organisiert. In Zelten und Containern sind Gastronomie und Toiletten untergebracht, ein leiser Duft von Currywurst streicht über das Amphitheater. Auch die letzte von fünf Vorstellungen ist nach Angaben der Veranstalter ausverkauft, ohne dass sich Unruhe unter den geschätzten 1.500 Menschen ausbreitet. Sitzkissen werden an die Unkundigen verteilt, auch einige wenige Decken hält das Rote Kreuz bereit.

Bereits anderthalb Stunden vor Beginn der Aufführung ist das Kreisrund der Arena gut gefüllt mit Menschen, die offenbar zu Hause nichts zu essen bekommen. Körbe werden ausgepackt, Plastikdosen geöffnet, Flaschen entkorkt, Thermoskannen aufgeschraubt. So etwas wie Volksfeststimmung kommt auf. Ein fröhliches Völkchen, das sich da oben im eisigen Wind versammelt hat. Applaus gibt es für das vom „Stadionsprecher“ erteilte Handyverbot wegen der empfindlichen Technik, Applaus gibt es auch für Rauch-, Fotografier- und Sprechverbot während der Veranstaltung.

Dass die Technik ihre Tücken hat, beweist sie gleich vom ersten Auftritt an. Lichteffekte verpuffen im verbliebenen Tageslicht, die Stimmen von Sängerinnen und Sängern klingen zunächst blechern, als kämen sie von der Orchesterbühne und nicht etwa aus dem Rund des Theaters, wo sich die Protagonisten bewegen. Später wird sich der Sound des Chores vorübergehend anhören, als spielte ein Radio in den 30-er Jahren. Rückkopplungen und der Widerhall des Windes, ja, selbst das Absetzen der Instrumente klingen unangenehm laut durch die freischwebenden Lautsprecher. Was Bruno Hoffmann als Technischer Leiter und Lichtdesigner Christian Falk abliefern, klingt und sieht eher aus wie „gerade noch mal gut gegangen“ als die technischen Möglichkeiten der Gegenwart.

Laut und unbeschwert spielen die Bottroper Symphoniker unter der Leitung von Joachim Mayer-Ullmann gegen Sängerinnen und Sänger an, oft mit Erfolg. Da wird dann schon mal aus dem Widerstreit der Partien ein Stimmengewirr mit musikalischer Übermalung.

Unterbrochen wird der Fortgang der Ereignisse immer wieder von einem Erzähler, dem Jürgen Kluckert seine Stimme verleiht. Das klingt blechern wie die Tonkonserven im Altenberger Märchenwald und getragen wie die Einladung zu einer Geisterbahnfahrt.

Das passt zur Inszenierung von Thomas Grandoch und den Kostümen von José-Eduardo Luna: banal-burlesk mit Slapstickeinlagen wird es bisweilen grotesk, wenn die Oberpriesterin, dargestellt von Christina Meuers, plötzlich in krampfhafte Zuckungen verfällt, die sich irgendwann als Wehen entpuppen, ehe sie eine Waffe gebiert. Die Kostüme verwegen bis bizarr, dem Publikumsgeschmack einer Disney-World geschuldet. Der Einfallsreichtum jedenfalls schier grenzenlos. Ständig steigen bedeutungsschwanger irgendwelche Darsteller irgendwelche Treppen hinauf und hinab. Unter dem Ah und Oh des Publikums fährt schließlich in Ermangelung eines Elefanten ein Muldenkipper Kriegsherr Radames an den oberen Rand des Amphitheaters.

Mit bis ins Absurde überzeichneten Masken präsentieren sich Sängerinnen, Sänger und Chöre. Elisabeth Otzisk als unsympathische und nichtssagende Aida, Ernesto Grisales als Radames und all die anderen singen, aber sie brillieren kaum. Solide Hausmannskost allenfalls, bewundernswert allein, unter solchen klimatischen und technischen Bedingungen überhaupt anzutreten. Kraftvoll und das Publikum zum Mitklatschen bewegend die Chöre unter Leitung eines irrlichternden Chordirektors Ludger J. Köller, dessen Einsatz bisweilen spannender ist als die Leistung des Projektchors der Arbeitsgemeinschaft Bottroper Chöre. Weit dahinter zurück bleiben die Leistungen der heimischen Ballettschule. Blass und zaghaft, manchmal zu gewollt geheimnisvoll engagieren sich die Eleven. Die Statisterie der Schülerinnen und Schüler des am Ort gelegenen Heinrich-Heine-Gymnasiums schlägt sich wacker in der teilweise zur Groteske geratenden Handlung. Deutlicher als in herkömmlichen Produktionen wird an diesem Abend, welch ungeheurer Einsatz den Protagonisten abverlangt und von diesen – gleich ob Profis oder Amateuren – geleistet wird.

Aida, eine Oper fürs Volk. Eine neue Erfahrung, diese Mischung aus Circus Maximus und Partystimmung in Verona. Das Volk ist begeistert. Alles wird im Zweifelsfall beklatscht – und kaum ist der letzte Ton verklungen, stehen die Menschen auf den Bänken, um ihrer Oper, ihren Darstellern zu applaudieren. Das will kein Ende nehmen. Da nehme sich der Kritiker zurück und erkenne rückhaltlos an: Diese Oper war ein voller Publikumserfolg.

Muss Oper fürs Volk doch eher Opium als Qualität sein? Diese Aufführung spricht dafür. Und mal ganz ehrlich: Hätte ein Giuseppe Verdi an diesem Volksfest nicht mehr Spaß gehabt als an jedem huldvollen Gedenken seines Meisterwerks?

msz

Hören Sie auch den Audiobeitrag mit Wilhelm Wirtz (linke Spalte).