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Fakten zur Aufführung 

DER SCHAUSPIELDIREKTOR
(Wolfgang Amadeus Mozart)
DAS WUNDERTHEATER
(Hans Werner Henze)
25. Oktober 2010
(Premiere: 24. Oktober 2010)

Malakoff-Turm Zeche Prosper II, Bottrop


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Zickenkrieg und Volksverdummung

Die Spielstätte ist der Malakoff-Turm der ehemaligen Zeche Prosper II in Bottrop – ein Förderturm, ein Industriedenkmal, umgebaut zu einer Art Museum mit einer Bühne. Und auf der geht es um die Kunst! Auch in Mozarts Singspiel Der Schauspieldirektor, auch in Hans Werner Henzes Das Wundertheater. Beide Stücke, an einem Abend gespielt, werden im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas 2010 erarbeitet von den in Ungarn geborenen, in Salzburg ausgebildeten Regisseurinnen Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka.

Die Bühne im Malakoff-Turm ist klein. Aber das ist beileibe kein Mangel, sondern viel mehr eine Chance zur Konzentration, zur Verdichtung all dessen, was zwischen den Akteuren auf dem Podium passiert.

In Mozarts Schauspieldirektor bricht, schlicht gesagt, ein Zickenkrieg aus. Wer ist unter dem Personal der Wanderbühne die Primadonna? Beim Streit darüber wird man gern mal handgreiflich. Nur konsequent, dass die Bühne zu einem Boxring mutiert. Die beiden Favoritinnen trällern um die Wette: erst die eine, Mademoiselle Silberklang, mit athletisch gemeisterten Koloraturen; dann die andere, Madame Herz, die es – wie ihr Name schon sagt - lyrisch angehen lässt, bevor sie ihre perlenden Läufe zwitschert. Die Musik dazu kommt vom Klavier, vierhändig zum Klingen gebracht von Kai Röhrig und Eung-Gu Kim. Das ist völlig ausreichend, betont sogar das Kammerspielartige der ganzen Situation. Mozarts 1786 im kaiserlichen Auftrag komponierte Singspiel wird hier nur auszugsweise präsentiert und mündet zielgenau in das Wesentliche, in die Einsicht, die spät, aber nicht zu spät auch den Machern der Wanderbühne dämmert: Kunst gelingt nur, wenn alle am gleichen Strick ziehen und egoistische Profilierungsabsichten zugunsten kollektiven Engagements unterbleiben.

Vor dieser Mozart-Botschaft steht quasi ein „Präludium“: der Dirigent trägt einen Volksempfänger langsam durchs Publikum, stellt es dann auf ein Regal und schaltet ein. Furchtbares Rauschen, aus dem sich wenig später Orchestermusik herausschält: Die Ouvertüre zu Mozarts Schauspieldirektor, reichlich historisch, irgendwie aus den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts. So hat Hans Werner Henze als Jugendlicher Musik gehört, daheim am Volksempfänger. Der stand, wie in zigtausenden anderen Familien auch, bei den Henzes in Gütersloh in der Wohnung. Um das grausliche Propaganda-Gequassel zu hören, über das sich die Oma aufregte. Aber eben auch um Mozart zu hören...

Henzes Wundertheater (nach einem ‚Intermezzo’ von Miguel de Cervantes) ist so auch als Reflexion zu verstehen auf das „Tausendjährige Reich“. Drittklassige Schauspieler versprechen den Bürgern eines Dorfes, irgend einer kleinen Stadt wunderbare Darstellungen. Sehen und miterleben aber, so heißt es im Vorfeld, könnten sie nur diejenigen, die von christlichem Blute und in christlicher Ehe gezeugt seien. Natürlich sieht von den Dorfbewohnern niemand auch nur irgend etwas – aber wer gibt schon offen zu, dass nichts, rein gar nichts zu sehen ist? Weder Simson, wie er den Tempel einreißt, noch der enorme Stier, auch nicht die Mäuseplage oder den Gold und Silber machenden Regen. Das verlogene Spiel geht weiter, bis jemand kommt, der die Regeln nicht kennt und wie in „Des Kaisers neue Kleider“ den Bluff beim Namen nennt – und dafür von der „Gemeinschaft“ bestraft wird. Da geraten die so honorigen Leute geradezu in Ekstase, ja in Blutrausch.

„Das Theater ist der Ort, an dem man Farbe bekennen muss“, hat Hans Werner Henze einmal gesagt. Farbe bekennen heißt dann auch, sich angreifbar zu machen, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, der Kunst ihre gesellschaftskritische Funktion zu bewahren und zu fördern. Das funktioniert wie hier im Malakoff-Turm durchaus auch auf spielerische Weise. Und mit vollem, ungebremstem Engagement aller Beteiligten: Hartmut Scheyhing und Claudia Dölker, Hege Gustava Tjonn und Corinna Reithuber, Maximilian Kiener und Dorit Ehlers, Alexander T.T. Müller und Kai Röhrig, der den Abend als Dirigent musikalisch fest im Griff hat. Ihm zur Seite stehen Solisten des Bottroper Kammerorchesters: Geigerin Zsuzsa Debre, die Cembalistin Mari Ota-Kim, Eung-Gu Kim am Klavier, Schlagzeuger Rolf Hildebrand und Flavius Petrescu auf der Trompete. Ein hellwaches Quintett, das sich ausgezeichnet hineinhört in die sehr spezielle Atmosphäre des Turmes. Insgesamt also ein Team hoch motivierter junger Sänger, Schauspieler, Musiker mit sensiblem „Feeling“ für die Situation vor Ort, temperamentvoll, stimmlich absolut präsent, spielerisch von unglaublicher Vitalität.

Rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörer sitzen sich gegenüber – in der Mitte befindet sich die nach allen vier Seiten offene Bühne. Ein fantastischer Ort von großer Ausstrahlung. Das Publikum ist mittendrin im Geschehen. Theater pur sozusagen. Dieser Ort schreit geradezu nach solchen intelligent gemachten und außergewöhnlichen Aktivitäten. Gibt es in dieser Hinsicht Planungen? Das jedenfalls wäre äußerst wünschenswert. Gerade auch über das Kulturhauptstadtjahr 2010 hinaus!

Christoph Schulte im Walde