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Fakten zur Aufführung 

DIE TOTE STADT
(Erich Wolfgang Korngold)
19. Januar 2008 (Premiere)

Theater Bonn


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Selten gespielt, doch überaus ergiebig

In den letzten drei Jahrzehnten hat es sowohl in der Oper, im Konzert als auch auf CDs und DVDs eine kleine Korngold-Renaissance gegeben. Die Oper Bonn knüpft daran jetzt mit einer herausragenden Inszenierung der Toten Stadt an.

Die tote Stadt , komponiert 1917 bis 1920 und uraufgeführt als Doppeluraufführung in Köln (unter Otto Klemperer) und Hamburg am 4. Dezember 1920, ist ein letzter Vertreter der groß orchestrierten spätromantischen Oper, mit zahlreichen Anklängen an den Verismo. Textgrundlage ist der Roman Bruges la morte, ein im flämischen Symbolismus angesiedelter Roman von Georges Rodenbach, erschienen 1892. Erich Wolfgang Korngold und der Librettist, sein Vater Julius Korngold (unter dem Pseudonym Paul Schott), nehmen jedoch eine drastische inhaltliche Änderung vor, indem sie den Haupthandlungsstrang – die Begegnung Pauls mit der Tänzerin Marietta und ihrer Ermordung – in eine Traumphase versetzen, in die der Protagonist erst unmerklich gleitet und aus dem er dann kurz vor dem Ende mit einem coup de théâtre, einem Theatertrick à la Pirandello, wieder erwacht. Damit ist der Stoff tiefenpsychologisch aufgeladen, aber durch die Außerkraftsetzung der Wirklichkeit dramatisch und atmosphärisch entschärft.

Die Bonner Aufführung ist aus einem Guss: inhaltlich wie ästhetisch konsequent durchgeführt. Martin Kukulies gestaltete für Klaus Weises Inszenierung einen aufwändigen Bühnenraum, dessen Vordergrund von einer Spielfläche mit riesiger, beweglicher Platte bestimmt wird, woran sich der Wohnraum Pauls angrenzt. Mehr als ein Wohnraum ist er jedoch ein Gedenkzimmer für die verstorbene Frau Marie, mit einem großformatigen, altarartigen Porträt und einem Schrein mit dem langen, blonden Haarzopf der Toten. Zu Beginn der Traumsequenz hebt sich die große Platte, es entsteht die Szene. Nach Pauls Erwachen aus dem Traumgeschehen, am Ende der Oper, begräbt sie Paul - ob Selbstmord, ob Tod durch Erschöpfung oder Liebestod bleibt offen. Kurz vorher verkündete er noch den Aufbruchversuch aus der todessehnsüchtigen Stimmung: "Ich will’s - ich will’s versuchen...". Es ist ein Ende, dass im Libretto und im Roman nicht vorgesehen ist, jedoch schon von mehreren Inszenierungen vorgeschlagen wurde.

Die Platte, wie auch das große Porträt bilden auch die Projektionsfläche für eine elaborierte Arbeit mit Videoprojektionen (Jan Thiel, Andree Verleger), die im Verbund mit einer ausgefeilten Lichttechnik (Thomas Roscher) für die optische (Traum)Sphäre sorgt. Einziges kleines Manko ist hier das assoziative Zitat von Christoph Schlingensiefs Schlussbild des Bayreuther Parsifal, in dem zahllose Maden den Kadaver eines Hasen in neues Lebens verwandelten. Das Zitat ist unpassend, weil zwei divergierende Todesvorstellungen zugrunde liegen: der bei Schlingensief positiv gefasste Kreislauf des ewigen Entstehens und Vergehens einerseits und das sich lähmend auf das Leben legende Jenseits bei Rodenbach/Korngold andererseits.

Der Hintergrund, der durch Großspiegel weit in den Bühnenuntergrund geöffnet ist, ist ein weiteres Glanzstück des Bühnenbildes. Die wichtigen Prozessionsszenen in den Straßen Brügges im 3. Akt werden durch sie wirkungsvoll in Szene gesetzt und zugleich in den Vordergrund geholt.

Die Bonner Besetzung ist überragend. Morenike Fadayomi (Marie/Marietta) verfügt und über eine ganz unglaubliche Bühnenpräsenz. Sie ist von Anfang an allein durch ihre Erscheinung schon voll da, singt stimmkräftig und intensiv. Fadayomi agiert sehr spielfreudig, wozu ihre Tanzausbildung bei der Colombo Dance Factory gerade für diese Rolle ideal ist. Janez Lotric als Paul wird durch sie in schauspielerischer Hinsicht etwas in den Schatten gestellt, hält dafür aber stimmlich die Riesenpartie locker durch. Aris Argiris singt die Rollen des Freundes Frank und des Pierrots Fritz und hat mit "Mein Sehnen, mein Wähnen" das Publikum ganz auf seiner Seite .

Erich Wächter führte das Beethoven Orchester klangschön durch die Klangwogen. Die Delikatesse der Partitur auskostend, musiziert er körperreich und zugleich transparent und ohne der tendenziell vorhandenen Nähe zum schlagerhaften Kitsch - "Glück das mir verblieb", das wagnernde "Mein Sehnen, mein Wähnen" – nachzugeben. Ein Meisterstück!

Dirk Ufermann

 

 








Fotos: Thilo Beu