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Fakten zur Aufführung 

DES LANDES VERWIESEN
(Juan Allende Blin)
1. April 2009
(Premiere: 22. März 2009)

Theater Bonn


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Des Landes verwiesen

Aus der Zeit, in der die kulinarische Oper schlecht angesehen war und man Opernhäuser in die Luft sprengen wollte, stammt die Kammeroper Des Landes verwiesen - konzertante und szenische Aktionen von Juan Allende Blin. Sie wurde als Auftragswerk der Berliner Festwochen 1978 in der Westberliner Akademie der Künste uraufgeführt. Allende Blin wählte ein radikal abgemagertes Ensemble mit neun Musikern, zwei Sängern, zwei Schauspielern und einem Tonband für sein welthaltiges, engagiertes und politisches Opus. Es gibt keinen kohärenten Handlungsfaden. Die Situationen, Gedichte, Textfragmente sind zusammengefasst in acht Szenen; was das Werk zusammenhält ist das Thema: Die Repression des Nationalsozialismus gegen linksintellektuelle Schriftsteller.

Anlass für das Werk war ein doppelter: Allende Blin, geboren 1928 in Santiago de Chile, erlebte in seiner Jugend die produktive deutsche Emigrantenszene in Südamerika: Oskar Trepte, ein Paul-Klee-Schüler, die Musiker Erich Kleiber, Fritz Busch, Rudolf Kolisch, Emanuel Feuermann und der Regisseur Kurt Joos gehörten zu denjenigen, die Allende Blin ein markantes Gegenbild zum offiziell herrschenden vermittelten. Später, nach seinem (freiwilligen) Umzug nach Deutschland im Jahre 1951, traf er hier auf eine merkwürdige Mauer des Schweigen über die Vorgänge während der NS-Diktatur - ein Zustand, der bekanntlich erst in den siebziger Jahren aufgebrochen wurde. Nicht zuletzt Des Landes verwiesen leistete dazu einen künstlerischen Beitrag, indem Allende Blin Ergebnisse der Erforschung des Exils und der im Exil entstandenen Literatur der 'verbrannten Dichter' zum Thema eines Werkes machte. Der Militärputsch in Chile im September 1973 war der zweite Anlass, ein extremer politischer Vorgang der zeigte, dass sich historische Konstellationen wie der Verlust der Demokratie an anderen Orten wiederholen können und Folter, Hinrichtungen und politische Unterdrückung plötzlich zur Normalität wird.

Drei Personen stehen im Mittelpunkt des Stückes: Der Wiener Schriftsteller Albert Ehrenstein emigrierte vor den Nationalsozialisten über die Schweiz nach New York. Vergebens versuchte er nach 1945 in Europa künstlerisch wieder Fuß zu fassen und starb verarmt, erfolglos und verbittert 1950 im New Yorker Exil. Der Kunsthistoriker Carl Einstein setzte sich bereits 1928 nach Paris ab, kämpfte als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg und nahm sich 1940 in Südfrankreich das Leben, um nicht den deutschen Besatzern in die Hände zu fallen. Der anarchistische Schriftsteller Erich Mühsam wurde nach wiederholten Verhaftungen 1934 im Konzentrationslager Oranienburg ermordet. Neben den biografischen Auswirkungen von Repression und Exil geht es in dem Stück auch um die praktischen Folgen von Zensur, Publikationsverbot und das Schreiben ohne Publikum im Exil auf die Arbeit des Schriftstellers. Allende Blin durchsetzt daher das deutschsprachige Libretto mit den Exilsprachen Englisch, Französisch und Spanisch - und fasste mit seinem Librettisten Jean Pierre Faye die Biografien in eine fragmentarisch episodenhaft strukturierte Collage, ergänzt um Texte von Pablo Neruda und Frank Wedekind. Gesang alterniert mit Sprache, konzertante Episoden wechseln mit szenischen. Tonbandeinblendungen mit O-Ton zur Bücherverbrennung 1933, aus einem chilenischen Leichenschauhaus 1973 und vom Begräbnis Pablo Nerudas 1973 liefern akustischen Zeitstil.

In der Bonner Wiederaufführung nach nun 31 Jahren in der dem Neuen Musiktheater gewidmeten Reihe „Bonn Chance!“ bringt Regisseur Florian Lutz eine überzeugend funktionale Erzählstruktur in das Stück. Anjara I. Bartz und Mark Rosenthal, die beiden Sänger, und die beiden Schauspieler Birte Schrein und Roland Silbernagl treffen sich bei einem Abendessen unter Exilanten an einem langen, den Spielort gliedernden Esstisch. Rosenthal und Silbernagl verkörpern dann die Rollen der drei Schriftsteller, aus deren Texten man am Tisch auch liest und so die beiden Zeitebenen – historische Vergangenheit und gegenwärtiges Abendessen – verschwimmen lässt. Der (fulminante) Pianist Tobias Engeli mimt zugleich den fehlernährten, Comics statt Exilliteratur lesenden Sohn des Sängerpaares. Auch die Flötistin aus dem Kammerorchester - Mariska van der Sande - ist szenisch in das Bühnengeschehen eingebunden: als Bettlerin stört sie den geselligen Weinabend und wird hartherzig abgewiesen. Die Spielstätte 'Alter Malersaal' in Bonn-Beuel ermöglicht eine auf die jeweilige Produktion vollständig abgestimmte Aufteilung des Raumes, was die Bühnenbildnerin Andrea Kannapee effektvoll nutzt. Während die Zuschauer zuerst von den Rängen auf die Bühne herabsehen, werden sie im Mittelteil des Stücks vom „Anarchisten Erich Mühsam“ zu Wein und Wasser in das Wohnzimmer gebeten. Es kommt zu einer sinnfälligen Vereinigung von Handelnden und Zuschauenden beim gemeinsamen Glas Wein gerade in der Textpassage, wo Mühsam die Vorzüge des utopischen kommunistischen Anarchismus propagiert.

Acht Mitglieder des Beethoven-Orchesters Bonn bilden das Kammerensemble. Unter der kundigen und umsichtigen Leitung Christopher Sprengers erklingt das etwa 90-minütige Werk mit großem Engagement und Einfühlungsvermögen, farbenreich nuanciert und gut ausbalanciert. Mit großem Einsatz ebenso Anjara I. Bartz und Mark Rosenthal sowie Birte Schrein und Roland Silbernagl. Das bei der Vorstellung so gut wie ausverkaufte Haus reagierte entsprechend ausgesprochen positiv auf das seltene Werk. Langer Beifall und Ovationen für das gesamte Ensemble. Die Produktion wurde unterstützt vom Fonds Neues Musiktheater des Kultursekretariats NRW.

Dirk Ufermann

 










 
Fotos: Thilo Beu