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Fakten zur Aufführung 

Mauricio Kagel zum 75. Geburtstag
September 2007


Beethovenfest Bonn

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Alles Theater: Neues (und altes) von Mauricio Kagel



Mit einem überraschenden Festival im Festival widmete das Bonner Beethovenfest dem Komponisten Mauricio Kagel zum 75. Geburtstag drei bedeutende Konzerte.

Das Beethovenfest fährt unter der neuen Intendanz von Ilona Schmiel eine dramaturgische Strategie, die der Beethoventraditionspflege genüge tut, aber dem Neuen auch einigen Raum gewährt. Dass man das den Bonnern in diesem Kontext zumuten kann, belegen drei nahezu ausverkaufte Konzerte, kenntnisreiche und konzentrierte Zuhörer und herzliche, geradezu enthusiastische Reaktionen an den Konzertenden.

Kagel und Bonn, Kagel und Beethoven hat natürlich auch seine Tradition und der aktuelle Rückgriff auf Kagel ließe sich so auch immanent begründen. Kagels legendärer Beethovenfilm 'Ludwig van' (1970), inzwischen auch als DVD im Handel, nahm unter Mitwirkung u. a. von Joseph Beuys den Bonner Beethovenkult als Stück 'auskomponierter Rezeptionsgeschichte' ins Visier. Im Rahmenprogramm des Beethovenfestes ist 'Ludwig van' während des gesamten Festivals im kleinen Auditorium des Bonner Kunstmuseums zu sehen, allerdings kuratorisch nachlässig betreut, da meist ohne Ton.

Das Bonner Kagel-Programm hatte zwei Schwerpunkte. Zuerst bot der groß besetzte Abend mit Chorwerken im Auditorium der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland ( 31. August) einen herausragenden Überblick an Werken des instrumentellen Musiktheaters. Das Ensemble musikFabrik, der RIAS Kammerchor (Einstudierung: James Wood) spielten unter der Leitung des Komponisten Werke für Kammerorchester und Stimmen. Kagel, der zwischen 1974 und 1997 eine Professur für Neues Musiktheater an der Kölner Musikhochschule innehatte, öffnet seine Kompositionen häufig der szenischen Aktion der Musiker, was hier partiell auch zum Tragen kam.

"Verborgene Reime" (2006/07, Uraufführung), ein Auftrag des RIAS-Kammerchores aus Berlin und des Eric Ericson Kammarkör aus Stockholm ist ein Stück für Stimmen und Schlagwerk. Kagel fragmentiert Gedichte, um zu einer Textgestalt für sein Stück zu kommen: In einem fast babylonischen Gewirr von Sprachen benutzt er Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Lateinisch und Kommantsche nebeneinander, nimmt von diesem Versextrakt jeweils nur die zweite Hälfte einer Zeile oder das letzte Wort und ergänzt dies assoziativ mit ähnlich klingenden Worten, um zu einem Reim zu kommen. Gutturale Klangmalerei und Pfeifen imitieren Wind und Vogelzwitschern. Die "Verborgenen Reime" enden skeptisch hinsichtlich des Gelingens der Kommunikation: "[....] Glück. Glück. Glück. Glück... Unglück." Nach dem letzten Wort gibt es ein szenisches Ende. Der Chor wendet sich, die Hände vor das Gesicht haltend vom Publikum ab und dreht ihm den Rücken zu. Eine Chorsängerin tritt aus der Formation hervor, greift sich aus dem Orchester ein Daf - eine große mit Fell bespannte iranische Rahmentrommel mit Metallringen -, spielt sie wahrhaft virtuos, vielleicht in Anlehnung an die Sufi-Tänze, und bricht ekstatisch zusammen.

Auch bei "Süden" (1989) aus "Die Stücke der Windrose" (1988-94) für Salonorchester ist von den Musikern szenische Aktion gefordert. Am Ende erstarren die Musiker zu Boden blickend, ihr Dirigent setzt sich stumm auf einen Stuhl. Die Windrosenstücke spielen mit der Relativität der gewöhnlich eurozentristischen Sichtweise. Von Buenos Aires, dem Geburtsort Kagels aus gesehen, hat der Süden eine andere Qualität als von Köln, Kagels Wohnort seit genau 50 Jahren. Süden ist von Buenos Aires aus kein Synonym für Urlaub, Hitze, sondern im Gegenteil, für die karge und kalte Landschaft Patagoniens. Der Relativität der jeweiligen Aufenthaltsposition Rechnung tragend, setzt Kagel in "Süden" musikalische Melodien und Rhythmen aus unterschiedlichen Regionen ein, akustische Souvenirs, die er verfremdet, in ihren Tempi zur Unkenntlichkeit variiert.

"Quirinius' Liebeskuss" für Vokalensemble und Instrumente (1999/2000) ist ein weiteres Sprachspiel. Kagel ordnet einsilbige Wörter nach positiver und negativer Konnotation bestimmten Taktmaßen zu, um genau diese Wertungsweise in einem zweiten Teil umzukehren. "Mitternachtsstük" für Stimmen und Instrumente (1980-81/86) benutzt als Textgrundlage Fragmente aus dem Tagebuch des 18-jährigen Robert Schumann von 1828. Das "Mitternachtsstük" ist ein akustisches Hörstück, das zahlreiche Elemente des Hörspiels integriert. Die Handlung wird von einer Erzählerin (Hildegard Behrens in einer Sprechrolle) und dem Chor textverständlich beschrieben, konkrete Klänge - erzeugt mit raschelndem Laub, Steinen, Glocken, Stöckelschuhklackern auf Marmor, Papierrascheln, Sektgläserklirren, Eisenketten - sorgen für die gespenstische Mitternachtsatmosphäre.

Das Konzert wurde von Deutschlandradio Kultur live gesendet. Eine zweite Aufführung des Konzertes gibt es am 27. 11. 2007 im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie.

Der zweite Schwerpunkt war den Kagelschen Klaviertrios gewidmet (19. und 20. September). Das Liszt-Trio aus Weimar (Andreas Lehmann, Violine; Tim Stolzenburg, Violoncello; Christian Wilm Müller, Klavier) spielte am ersten Abend sein erstes (1984-85) und zweites Trio (2001), eingeschoben dazwischen das "Geistertrio" op. 70/1 von Beethoven. Das erste Trio ist eine Paraphrase, eine komponierte Zusammenfassung von "Der mündliche Verrat / La Trahision orale" für Klavier aus 1981-83, ein Musikepos über den Teufel. Es sind kleine Charakterstücke, musikalische Miniaturdramen, Beschreibungen von Stimmungen und jetzt im Trio in eine dreisätzige Form gebracht. Das Trio lebt von einer 'irritierten' Tonalität, Kagel ist hier wie auch bei den beiden folgenden Trios auf der Suche danach, wie tonale Musik heute - nach den Erfahrungen von Atonalität und Serialität - klingen kann, daher ist es zugleich zugänglich wie unzugänglich. Man hört etwas Vertrautes, doch so richtig vertraut ist es nicht. Das zweite Klaviertrio ist einsätzig, hat einen recht traurigen Charakter. Betrachtet man die Entstehungszeit - das Werk wurde am Mittag des 11. September 2001 beendet -, kann man es als Ahnung der historischen Ereignisse nehmen. Eine makabre Koinzidenz ist jedoch, dass das zweite Trio paraphrasierenden Bezug auf ein früheres Kagel-Werk nimmt, das den Terror zum Thema hat: das instrumentale Theaterstück "Entführung aus dem Konzertsaal (1998-99).

Das dritte Trio, das als Auftragswerk des Beethovenfestes am nächsten Abend durch das Liszt-Trio zur Uraufführung kam, ist ein Zweisätzer. Die Anlage, unüblich für ein Trio, spielt mit dieser Zweisätzigkeit. Spiel und Wiedererinnerung an das Spiel, Entsprechungen, Symmetrien, Scheinsymmetrien bringen die Hörerfahrung ins Wanken. Auch im dritten Trio benutzt Kagel das Verfahren der Paraphrase. Kagel hütet sich vor einer Definition des Begriffs, mag eine Abgrenzung zur Variation, Bearbeitung, Transkription, Parodie, Phantasie, Capriccio, Rhapsodie nicht festlegen. Das alte Stück als Quelle des neuen sei als 'zweckdienliche Knetmasse' zu betrachten. Zugrunde liegt hier 'Die Erschöpfung der Welt, Szenische Illusion in einem Aufzug (1980)', Kagels Auseinandersetzung mit Gott, der Bibel einerseits und mit dem Verhältnis absoluter zu narrativer Musik andererseits.

Das Liszt-Trio, das die ersten beiden Trios bereits in einer fulminanten Einspielung vorgelegt hatte, spielte auch das dritte Trio mit hohem Einsatz; intensiv, kraftvoll und energisch erklang das etwa halbstündige Werk im Kammermusiksaal des Bonner Beethovenhauses.

Das Beaux Arts Trio (in der aktuellen Besetzung: Daniel Hope, Violine, Antonio Meneses, Violoncello und am Flügel der Gründer Menahem Pressler), das ursprünglich für die Uraufführung vorgesehen war und für das Kagel das dritte Klaviertrio komponierte, gab die Uraufführung an das Liszt-Trio wegen mangelnder Probenzeit ab, da das Stück wesentlich länger geworden sei als geplant. Es spielte den zweiten Teil des Konzertabends virtuos, souverän und klangschön wie immer: Beethovens Kakadu-Variationen op. 121a und Franz Schuberts voluminöses Es-Dur-Trio D 929. Dank der Deutschen Welle ist das 45minütige Schubert-Trio als Podcast über das Internet - http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,2142515,00.html - als Konzertausschnitt zugänglich. (du)

 

 




Foto: © Barbara Frommann