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Fakten zur Aufführung 

DER GOLEM
(Eugen d’Albert)
24. Januar 2010 (Premiere)

Theater Bonn


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Emotionale Musik

Satte Streicherwogen, donnerndes Schlagzeug, bedrohliche Tuba, geradezu elektrisierende Blechbläser, geheimnisvolle Celli, auratisierende „Winds“: Eugene d’Alberts imaginierende Musik schöpft aus dem musikalischen Reichtum der Entstehungszeit (1926) – variiert spätromantischen Klangrausch, aggressive Töne und expressive Attitüde, entwickelt einen vielschichtig interpretierenden Duktus zum Golem „wie er auf die Welt kam“. Stefan Blunier lässt sich mit großer Leidenschaft – und hoch differenzierender Attitüde! - mit dem bravourös aufspielenden Beethoven Orchester Bonn auf den Golem-Mythos ein: voll von mystischem Zauber, mit tiefen seelischen Irritationen, bewegend in den archaischen Bedrohlichkeiten, alarmierend in der existentiellen Bedrohung, diffizil in der Charakterisierung des so variantenreichen Ausdrucks von Lebensgefühlen in der Ghetto-Situation – mit-leidend, mit-hoffend: das verzweifelte Leben der Juden im Mittelalter findet zu ergreifendem musikalischen Ausdruck.

Anne Neuser installiert die Kuppel eines Observatoriums auf der Bühne, schafft die Atmosphäre eines klinisch reinen Labors, in dem die Buch-Elemente der kabbalistischen Zahlen-Mystik in Form von herabwehenden Blättern vergehen.

Andrea Schwalbach inszeniert sehr distanziert, vermeidet die irrationalen Impulse des jüdischen Gefährdungs- und Hoffnungsträgers, lässt eher statisch agieren, vermittelt die rationale Atmosphäre eines strittigen Experiments in einem Fraunhofer-Institut für Nachrichtentechnik: der von Kisch so eindringlich beschriebene Kontext einer vergeblich hoffenden Ghetto-Gesellschaft bleibt außen vor - von Mit-Empfinden keine Spur: Die Regie seziert menschliches Agieren, distanziert sich von „großen Gefühlen“, konstruiert Beziehungen in stereotypen Bildern. Der Golem wird zum alter ego des Rabbi Loew, die Lea zur esoterisch liebenden Orientierungslosen: Das Drama der bedrohten Juden wird zum märchenhaften Mädchen-Traum. Dazu: In der Szene herrscht statuarisches Posieren – wohl nicht kalkuliert in Kontrast zu den eruptiven musikalischen Ausdrucksformen!

Gesungen wird in Bonn hoch kultiviert, stimmlich überzeugend – aber unter Verzicht auf elementar-existenziellen Ausdruck. Mark Morouse gibt dem „harmlosen“ Golem weich strömende Stimme; Alfred Reiter interpretiert mit beeindruckender Statur einen kontrollierten Rabbi Loew; Ingeborg Greiner brilliert mit fantastisch höhensicheren Koloraturen als Tochter Lea – Liebe, Leid, Todes-Sehnsucht bleiben offenbar gewollt außen vor. Tansel Akzeybek als Loews verstörtem Jünger gelingen Szenen höchster Intensität: darstellerisch präsent, stimmlich variabel, besteht er offensichtlich auf den Vorstellungen avancierten Musik-Theaters!

Das Publikum ahnt den mystischen Furor des d’Albert-Werks mit seinen erschütternden Verweisen auf das jüdische Schicksal mit seinen unbegreiflichen Verwerfungen – applaudiert den Sängern mit zustimmender Begeisterung, feiert Blunier und Orchester, hält sich beim Auftritt des Regieteams zurück - ist aber offenbar tief beeindruckt von Thema und Musik des unbekannten Werks.

1997 hat das Bielefelder Theater d’Alberts Oper aus der Vergessenheit geholt: die Bonner Produktion bleibt hinter dieser Vorlage zurück. Weitere Bemühungen sind dringend zu wünschen!

Franz R. Stuke

 









 
Fotos: © Lilian Szokody