Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

FREAX
(Moritz Eggert)
2. September 2007 (Uraufführung)

Beethovenfest Bonn
(Theater Bonn, Opernhaus)

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

---

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


Tickets/Termine

(0) 180 - 500 18 12

 

zurück       Leserbrief

Wenig glaubwürdig

Szenische Opernuraufführungen finden in Bonn mit der Reihe "Bonn Chance!" in schöner Regelmäßigkeit im Auditorium der Kunst- und Ausstellungshalle statt. Mit Moritz Eggerts "Freax" als gemeinsamem Auftragswerk von Theater Bonn und dem Beethovenfest Bonn sollte seit langer Zeit, seit Kurt Schwertsiks "Der ewige Friede" 1994/95, wieder eine Uraufführung im Opernhaus stattfinden. Auf die Bühne - im fertigen Bühnenbild - kam aber nur eine konzertante Aufführung des Werkes. Eine davon unabhängige szenisch-filmische Arbeit des Regisseurs Christoph Schlingensief wird den Besuchern in der Opernpause im Foyer präsentiert. Differenzen zwischen Regisseur und Komponist sowie Zeitmangel aufgrund einer infektiösen Augenkrankheit Schlingensiefs während der Probenphase verhinderten eine szenische Umsetzung. Die Intendanz konnte dem noch etwas Positives abgewinnen: "Erstmals in der Operngeschichte kommt es an ein- und demselben Abend zu einer konzertanten Uraufführung und einem szenischen Diskurs über das vorhandene Material. Ohne dass die Oper szenisch aufgeführt wird."

Ausgangspunkt von "Freax" ist der Film "Freaks" (1932) von Tod Browning, ein Film aus der Kategorie Horrorfilm, der sein Faszinosum und seine Authentizität daraus bezieht, dass die Protagonisten als 'echte' Freaks sich selbst darstellen können: Kleinwüchsige, Missgebildete, Behinderte, die Browning in sogenannten Kuriositätenshows und beim Zirkus aufspürte. Das Opernlibretto von Hannah Hübgen schliesst sich unter leicht veränderten Vorzeichen dicht an den Film an: Ort der Handlung ist eine Freakshow in der aktuellen Sphäre des Showbusiness mit den beiden Kleinwüchsigen Franz und Lea, den siamesischen Zwillingen Anne-Marie und Marie-Claire und dem Hermaphroditen Dominique. Isabella, eine Schönheit aus dem Backgroundchor, ihr Geliebter, der Moderator Hilbert, und der Direktor Andreas bilden als "Normale" die Gegenseite, die von der Zurschaustellung und Ausbeutung der Freaks leben. Als Isabella erfährt, dass Franz ein Vermögen besitzt, verführt sie ihn zur Ehe, mit dem Plan, ihn nach der Hochzeit zu töten und das Erbe zusammen mit Hilbert durchzubringen. Doch bei der Hochzeit kann sie ihren Ekel vor der "Missgeburt" des Zwerges Franz und den anderen Freaks nicht mehr bändigen, zeigt ihr wahres Gesicht und verletzt Franz zutiefst. Später wird Isabella durch einen makabren Unfall bei einer Shownummer, ihr werden die Beine abgesägt, selbst zum Freak, versucht eine wirkliche Annäherung an Franz, wird aber abgewiesen. Am Ende dreht Franz durch und ermordet seine ehemalige Freundin Lea: "Kein Monster darf lieben."

Das Libretto gestaltet die Story stark holzschnittartig und gibt den Personen weder Glaubwürdigkeit noch Kontur oder Tiefe.

Moritz Eggert hat dazu eine erklärtermaßen avantgardeferne Musik für ein Riesenorchester komponiert. Ohne Zweifel virtuos gesetzt, farbig instrumentiert, gut anzuhören und glänzend vom Beethovenorchester unter Leitung von Wolfgang Lischke und dem Chor von Theater Bonn (Leitung: Sibylle Wagner) umgesetzt, zeichnet sich die Partitur vor allem durch eine große Anverwandlungskunst a la Igor Strawinsky aus. Man hört pasticcioartig den Sound der 30er mit Einsprengseln von Zirkusmusik im Stil von Nino Rota und einer jazzigen Bühnenmusik der "Freaxband" und hat infolgedessen nie den Eindruck, sich akustisch in der Gegenwart zu befinden.

Wie das Libretto geht auch Eggert über das Leid der Protagonisten hinweg. Es klingt immer schön, immer leicht, gewinnt wenig Tiefe und selten Mitgefühl. Man hört der Oper nicht an, worum es geht oder gehen könnte: Um das Ausgeschlossensein, um das "Paralleluniversum" (Schlingensief) von Personen, die aufgrund ihrer äußeren und inneren Verfasstheit nicht an der Normalität der Mehrheit partizipieren können und von dieser auch noch instrumentalisiert werden. Sogar die Bein-Amputation der schönen Sopranistin Isabella und damit ihr schicksalhafter Wechsel in die Welt der Behinderung geht eher slapstickartig vonstatten.

Musikalisch hatte die Premiere ein für Bonner Verhältnisse hohes Niveau. Die konzertante Aufführung fand im aufwändigen Bühnenbild von Thekla von Mülheim (ein alter Ego des Regisseurs Christoph Schlingensief) und Tobias Buser statt. Die Kostüme, deutlich an das Triadische Balett Oscar Schlemmers angelehnt, gestaltete Aino Laberenz. Das Ensemble: Herausragend Julia Rutigliana als Isabella, präsent, klangschön und expressiv. Trotz der konzertanten Situation spielfreudig agierend und koloratursicher die "siamesischen Zwillinge" Marie-Claire und Anne-Marie (Barbara Schmidt-Gaden, Hege Gustava Tjönn), gesanglich einfühlsam gestaltend und intensiv auch Anjara I. Bartz als Lea. Thomas Harper als Franz verlieh seiner Rolle Wozzeck-verwandte Konturen. Star des Abends war Otto Katzameier als Hermaphrodit Dominique, virtuos die Geschlechter wechselnd und mit sich selbst als Counter und Bariton im Duet singend. Engagiert auch die weiteren Protagonisten: als "Showdirektor" Hans Jürgen Schöpflin, als dessen "Sekretärin" Vera Baniewicz und als "Moderator" Louis Gentile. Das Publikum nahm die Premiere ausgesprochen positiv und herzlich auf, wobei es aber auch eine kleine, sich deutlich artikulierende kritische Minderheit gab.

Wie es hätte werden können, zeigt Christoph Schlingensiefs Filminstallation "Fremdverstümmelung 2007", die dramaturgisch ungünstig – der Besucher hat da für gewöhnlich andere Bedürfnisse – in der Pause auf einem Gazevorhang gezeigt wird. Hinter ihm sieht man Schlingensiefs sogenannte "Familie", mit der er seit langem zusammenarbeitet, darunter auch Behinderte und Kleinwüchsige bei einer Party, vielleicht auf die Hochzeitsszene der Oper bezugnehmend. Sie bilden zugleich, neben Statisten und den Sängern der Bonner Oper das Personals des Films. Der Schwarzweißfilm ist im Stil der Frühzeit des Films gedreht, oft an Buñuels - Un chien andalou, L'âge d'or oder Viridiana - und auch an Varieteszenen Frederico Fellinis erinnernd. Er ist nicht mit der Musik Eggerts unterlegt - "Please! No Music" heisst es im Vorspann - sondern mit einer Klangkulisse, einem dröhnenden Rauschen, ansonsten ohne Sprache. Wie die Oper bedient sich Schlingensief des Collageprinzips. Probenszenen, die offenbar doch schon weit fortgeschritten waren, wechseln sich ab mit Textfragmenten (Schlingensief, Adorno, Pirandello, Goffman) und Aufnahmen aus dem Umland von Bonn. Die Szenen sind mal rasch beschleunigt, mal verlangsamt gehalten, wirken sphärisch und (alp)traumartig. Schlingensief problematisiert zuerst die Grundsituation dieser Produktion: Kann die Oper und deren Rituale das Thema der Behinderung überhaupt aushalten ? "Der Diamant will glänzen." oder "Nach der Oper gehen wir lecker essen." Der Film ist inspiriert und reflektiert zugleich. Seine Texte treffen oft den Kern der Problematik.

Kulminationspunkt und Ende der "Fremdverstümmelung 2007" bildet die Kreuzigung eines Freaks, das Martyrium auf die Spitze treibend.

Jeder Opernbesucher erhält eine DVD des 16-minütigen Films als Geschenk. Der WDR hat die Uraufführung mitgeschnitten. Der Sendetermin steht aktuell noch nicht fest. Sechs weitere Aufführungen im September 2007. (du)