Intelektuellen-Oper
Muss Musiktheater Emotionen vermitteln? Diese Frage könnte man immer wieder stellen und zu dem Ergebnis kommen: Nein, sie muss es natürlich nicht. Aber man sollte auch fragen: Was erwarte ich eigentlich als Zuhörer? Will ich mich wirklich länger als zwei Stunden mit den philosophisch-theoretischen Überlegungen eines Komponisten oder Librettisten auseinandersetzen, ohne dass die Charaktere auf der Gefühlsebene in irgendeiner Weise näher gebracht werden?
Nein, Brian Ferneyhough (Musik) und Charles Bernsteins (Libretto) Oper „Shadowtime“, uraufgeführt auf der Münchener Biennale im Mai vergangenen Jahres, konnte den Großteil des Triennale-Publikums in der Jahrhunderthalle in keinster Weise zufrieden stellen. Nicht wenige Besucher verließen daher auch schon früh ihren Platz. „Shadowtime“ ist ein zugegebenermaßen hoch intellektuelles, ja sogar intelligentes Werk, das allerdings nur auf zwei Wegen verständlich wird: Entweder man befasst sich im Vorfeld intensiv mit dem Text oder man ist ein ausgesprochener Walter-Benjamin-Experte. Der Berliner Kulturphilosoph nämlich steht im Zentrum des Werkes. Mit einer Abfolge von sieben Szenen (Titel wie „Doktrin der Ähnlichkeit“ oder „Opus Contra Naturam“ geben nur einen oberflächlichen Eindruck von der Komplexität des Werkes) versuchen die Autoren, Benjamins philosophische Konstrukte zu vermitteln. Doch das misslingt gründlich!
Schuld daran hat nicht etwa die Regie. Im Gegenteil: Frédéric Fisbach legt ein angemessenes Konzept für den schwierigen Stoff vor. Doch was sich durch den reinen Text nur schwer vermitteln lässt, stößt zwangsläufig auch in der Umsetzung auf der Bühne an seine Grenzen. Dabei gehört die Bühne von Emmanuel Clolus sicher zu den großen Pluspunkten der Inszenierung. Mit plakativen Bildern gelingt es Clolus, die Kluft zwischen Zuschauer und Bühnengeschehen zumindest ansatzweise zu verringern.
Auf herausragendem Niveau spielt sich auch die musikalische Umsetzung ab. Verantwortlich dafür sind zwei hochkarätige Ensembles: Zum einen die Neuen Vocalsolisten Stuttgart, zum anderen das Nieuw Ensemble Amsterdam. Dass Jurjen Hempel das polyphone Stimmengeflecht fast schon in Perfektion zusammenhält, verdient höchsten Respekt.
Die Reaktion des Publikums auf diese Intelektuellen-Oper spricht für dessen Kompetenz: Mit wohlwollendem Applaus wurde die musikalische Leistung gewürdigt. Das Werk selber aber wird für die meisten immer ein Rätsel bleiben. (cd)
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